Die Pestspur
musste nur vier Fragen stellen, um der glücklichste Mann auf Erden zu werden. Noch nie hatte ihm das stumme Schütteln oder Nicken eines Kopfes so viel gegeben. Rosalindes Kopfbewegungen, die sie mit Tränen in den Augen, einem verschämten Lächeln und einem treuen Augenaufschlag untermalt hatte, bedeuteten für ihn momentan das größte Glück auf Erden.
Die Menschen in der kleinen Kapelle warteten gespannt, was Eginhard verkünden würde. Dabei verkrampften die meisten von ihnen ihre gefalteten Hände so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Als Diederich merkte, dass sein großer Bruder allen etwas mitteilen wollte, lief er zu ihm und hängte sich an seine Seite. Eginhard beugte sich zu ihm herunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Du musst mich vorher aber loslassen, wenn du uns allen die Neuigkeit überbringen möchtest«, schlug Eginhard dem Kleinen vor.
Stolz darauf, dass er etwas ganz Wichtiges zu vermelden hatte, baute sich Diederich vor den anderen auf und ließ es endlich raus: »Mama ist gesund! – Mama ist gesund!«
Der Kleine vergaß dabei ganz, dass er sich in einem geweihten Raum befand und führte einen wahren Freudentanz auf.
Eginhard bremste ihn und ging mit ihm die beiden Treppchen zum Altar hoch, wo sie sich zwischen den Propst und den Jungpriester stellten. Auf dem Weg dorthin lächelte er seinem Vater zu und nickte mit geschlossenen Augen. Was jetzt in Ulrich Dreyling von Wagrain vorging, war unbeschreiblich.
Es wurde so still, dass man nur noch ein gelegentliches Knarzen der Holzbohlen in den Kirchenbänken hörte.
»Ganz so ist es sicher nicht«, relativierte Eginhard Diederichs Aussage. »Aber immerhin: Rosalinde hat mir gesagt, dass Mutter aufgewacht ist und nach Vater gerufen hat. Und dabei soll sie sogar gelächelt haben. Sie hat auch schon einen Schluck Kräutersud getrunken und – wenn ich Rosalindes Zeichen richtig verstanden habe – sogar den Becher selbst gehalten.«
Da hielt es die anderen nicht mehr in den Bankreihen, und sie scharten sich um ihn, Diederich und die beiden Priester. Alle fielen sich in die Arme. In diesen kurzen Freudentaumel waren auch die Bombergs einbezogen. Sarah drückte Lodewig besonders fest an sich und busselte ihn ab. Während der Kastellan ungeniert Rosalinde an sich drückte, umarmten sich Ignaz und Siegbert.
»Lobet den Herrn! Der Herr nimmt – der Herr gibt!«, verkündete Propst Glatt seine selbst zusammengezimmerte Weisheit so theatralisch, dass man glauben könnte, er hätte etwas mit einer wundersamen Heilung zu tun. Nachdem er seine Arme in den Himmel gereckt hatte, wandte er sich an seinen Freund: »Ulrich, meinst du nicht, dass du jetzt nach deiner Frau sehen solltest?«
»Ich bin schon auf dem Weg«, antwortete der Kastellan wie benommen. Die frohe Botschaft von Konstanzes verbessertem Gesundheitszustand hatte sein blaues Blut in Wallung gebracht. Dort hinein waren jetzt so viele Freudenhormone geschossen, dass es ihm vorkam, als wäre sein Hirn von Alkohol vernebelt, und es fehlte ihm jeglicher Zeitbegriff.
Seit Rosalinde in die Kapelle gestürmt war, waren kaum mehr als ein oder zwei, vielleicht drei Minuten vergangen, in denen sich die Welt zu verändern schien. Alle, die sich hier versammelt hatten, um für Konstanze zu beten, schwebten wie auf Wolken.
»Vater, komm. Mutter wartet auf dich«, drängte jetzt auch Eginhard, der gemerkt hatte, dass sein Vater geistig abwesend war.
Als endlich alle realisiert hatten, welch frohe Kunde Rosalinde überbracht hatte, waren die Dreylings von Wagrain nicht mehr zu bremsen, so schnell wie möglich eilten sie an Konstanzes Krankenlager.
Der Propst konnte mit der neuen Situation nicht nur gut umgehen, er verstand es auch, sie für die Zwecke der katholischen Kirche auszunützen. »Petrus war ein Fischer. Also werde ich es ihm gleichtun«, murmelte er. »Die Juden haben sich noch nie in einen meiner Gottesdienste getraut. Jetzt habe ich die ganze Sippschaft hier. Vielleicht finden die Bombergs ja Gefallen an unserem Glauben und treten zum Christentum über? In diesen traurigen Zeiten freut sich der Herr ganz besonders über jedes neue Schäfchen in seiner schwindenden Herde«, spann er seine Gedanken Martius Nordheim gegenüber weiter und begann jetzt, die Messe für eine Schlosswache, einen Knecht, eine Magd und vier Juden – für sieben glückliche Menschen – zu lesen.
Als die Kommunion an der Reihe war und der Priester Rosalinde eine Hostie auf die Zunge legte, merkte
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