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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Kollegen, die in diesen Dingen ohnehin erfahrener waren als sie selbst. Außerdem hatten sie den unausgesprochenen Wunsch des Vorsitzenden nach einer zügigen Verhandlung sehr wohl verstanden. Im Stillen mussten sie sich eingestehen, dass das Herbeiführen eines raschen Verhandlungsendes auch in ihrem Sinne war, da sie es nicht erwarten konnten, den Angeklagten zum Tode zu verurteilen und danach Zeugen der Sühne zu werden. Für sie alle – auch für den jungen Leinweber Melchior Henne – war es ein klarer Fall, der nur mit einem Todesurteil enden konnte.
    Nachdem das curriculum vitae des Angeklagten vom Gerichtsschreiber monoton heruntergelesen worden war, sagte der Richter nur: »So! – Das wäre das« und nahm einen Packen Papier, den er so fest auf dem Tisch aufstieß, dass ihm die Blätter aus der Hand rutschten und teils auf den Tisch, teils auf den Boden fielen.
    »Himmelherrgottsakramentkreuzkrutzifixnocheinmal!«, fluchte er und winkte den Gerichtsschreiber zu sich, damit dieser die Prozessakten aufheben und sortieren sollte.

    Nachdem der knorrige Schreiberling mit seiner Papierverklauberei fertig geworden war, konnte der Prozess jetzt endlich seinen weiteren Verlauf nach den Grundlagen der rothenfelsischen Gesetzgebung nehmen.
    Der Vorsitzende berichtete ausführlich darüber, dass man es sich nicht leicht gemacht und extra eine Delegation nach Staufen geschickt habe. Unter seinem Vorsitz wären in den letzten Wochen vor der Verhandlung stellvertretend für alle Geschädigten über siebzig Hinterbliebene und dreißig überlebende ›Patienten‹ des Angeklagten als Zeugen vernommen worden, die unisono das Gleiche ausgesagt und die Untersuchungsergebnisse bestätigt hätten. Nach einer Gedankenpause schlug Zwick mit der flachen Hand fest auf den inzwischen wieder sortierten und aufgestapelten Haufen Papier und bemerkte mit einer Stimme, die keine Frage, geschweige denn einen Widerspruch zuließ: »Da hier das Gutachten eines gewissen Eginhard Dreyling von Wagrain, seines Zeichens erstgeborener Sohn unseres verehrten Schlossverwalters Ulrich Dreyling von Wagrain, liegt, war es nicht nötig, die Herkunft der todbringenden Pflanzen zurückzuverfolgen.«
    Dass gerade seine Stellungnahme als Argument dafür herhalten musste, damit die Beweisaufnahme möglichst schnell beendet werden konnte, hätte den überkorrekten Studiosus sehr gekränkt. Aus Zwicks Sicht war es ein guter Schachzug, der ihm soeben eingefallen war und der ihm zu einem raschen Verhandlungsende verhelfen würde, obwohl die Beweisaufnahme überhaupt noch nicht an der Reihe war.

    Der Vorsitzende blickte ernst in die Runde, bevor er weitersprach: »Da es sich neben den Zeugenaussagen um das schwerste Belastungsmaterial handelt, habe ich es vor Verhandlungsbeginn ausnahmslos von allen Beisitzern nochmals einsehen und zur Kenntnis nehmen lassen.«
    Er blickte wieder in die Runde, um zufrieden ein allseitiges Kopfnicken wahrzunehmen: »Der junge Herr Dreyling von Wagrain studiert im Bregenzer Kloster Mehrerau die Naturwissenschaften und die Medizin. Er ist zwar noch kein Doktor seines Faches, aber nach Aussage von Abt Plazidus Vigell, eines Professors, der das berühmte Kloster am Ufer des Bodensees leitet und zudem dort lehrt, ein ungewöhnlich korrekter und talentierter Studiosus, der sich in besonderem Maße der Kräuterkunde verschrieben hat. Dies wertet seine Stellungnahme eindeutig zum Gutachten auf. Gibt es dagegen irgendwelche Einwendungen?«
    Nachdem der Vorsitzende nur allseitiges Kopfschütteln zur Antwort bekommen hatte, fuhr er mit eisigem Blick und mit dem Finger in Richtung des Angeklagten zeigend, fort: »Dem aufmerksamen Studiosus ist es zu verdanken, dass dem schändlichen Treiben dieses … dieses … Individuums … endlich Einhalt geboten werden konnte.«
    Da Zwick sich sichtlich schwer tat, seine Wut auf den Angeklagten zu verbergen, schnaufte er tief durch, bevor er fortfuhr: »Ohne die fachkundige Beweisführung des gescheiten und mutigen jungen Mannes hätte der Medicus seine todbringende Arbeit im kommenden Frühjahr wieder aufgenommen und weiteres Leid über diesen schönen Ort gebracht! Dies hat er nach eingehender Vernehmung, die ohne jeglichen Zwang stattgefunden und auch der Peinlichen Befragung entbehrt hat, gestanden.«
    Der Richter blickte wieder in die Runde: »Anträge oder Fragen hierzu? – Keine? Dann kommen wir zur Verlesung der Anklage.«

    Da der Richter allseitiges Einverständnis feststellte, zuckte er

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