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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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allerdings auf und wurden schon wieder laut.
    »Hau ab! – Wenn hier jemand Waren verkauft, sind wir es!«, rief ein Einheimischer.
    »Heute ist kein Markttag! – Hast du überhaupt eine Genehmigung zum Verkauf deiner Früchte? Wenn ja, komm am nächsten Mittwoch wieder!«, rief eine Frau und spuckte auf den Boden, während ihr Mann den fahrenden Händler ›versehentlich‹ so anrempelte, dass einige seiner Früchte zu Boden fielen, wo sie sofort von zwei Buben aufgehoben und in die hungrigen Mäuler gesteckt wurden. Die Sache schaukelte sich hoch. Als einer unverhohlen in den Bauchladen des Händlers griff und daraus eine Handvoll getrockneter Pflaumen fischte, machten es ihm andere nach, ohne sich eventueller Konsequenzen bewusst zu werden. So dauerte es nicht lange, bis der Bauchladen des wehrlosen Händlers völlig ausgeplündert war. Die Staufner hatten Glück, dass der Mann aus Angst um sein Leben tatsächlich abhaute. Er ballte zwar fluchend die Fäuste, suchte aber doch schnellstens das Weite, weil er Angst hatte, dass es ihm wie seinerzeit dem Immenstädter Soldaten ergehen könnte. Ein ›Drecksstaufner‹ konnte er sich trotz seiner Angst dennoch nicht verkneifen.

    *

    Wenn der Graf bei Gerichtsverhandlungen nicht selbst den Vorsitz übernehmen wollte oder konnte, setzte er für gewöhnlich – je nach Fachgebiet und Sachlage – einen anderen Richter seiner Wahl ein. Dies war in der Vergangenheit recht oft der Fall gewesen, da er ständig in Mainz und in Speyer, manchmal auch in Aachen, Trier oder in anderen entfernten Orten weilen musste, um seine dortigen politischen Aufgaben wahrzunehmen. Dazu kam, dass vor sieben Jahren durch kaiserlich-österreichische Truppen die Pest nach Immenstadt eingeschleppt worden war, wo sie dreihundertzweiundfünfzig Opfer gefordert hatte und weswegen er öfter nach Wien gereist war. Damals hatte sich der Graf mitsamt seiner Familie und dem Hofstaat in das sichere Schloss Staufen zurückgezogen. Da die Pest in der Residenzstadt aber bis September 1630 andauern sollte und sich auch in anderen Teilen seines Herrschaftsgebietes weiter auszuweiten drohte, hatte es die gräfliche Familie vorgezogen, sich zwei Jahre später in die noch besser geschützten Mauern der Bodenseestadt Konstanz zu flüchten. Aufgrund der Brisanz dieses Falles wäre es nicht nur vonnöten gewesen, dass der Landesherr der Gerichtsverhandlung persönlich beiwohnte, sondern diese darüber hinaus auch selbst leitete. Darum zumindest hatte ihn Oberamtmann Speen in einem Sendschreiben gebeten. Da seiner Bitte keine Antwort beschieden war, musste in Vertretung des Grafen der Stadtamtmann Hans Zwick, derzeit ranghöchster Richter, den Vorsitz übernehmen. Der angesehene Mann war von kleiner gedrungener Statur, was er durch ein selbstbewusstes Auftreten geschickt auszugleichen verstand. Trotz seiner Kleinwüchsigkeit würde es nie jemand wagen, die Autorität des verdienten Immenstädter Bürgers in Frage zu stellen. Er war allseits dafür bekannt, nie um den heißen Brei herumzureden und stets kurzen Prozess zu machen, und genau das liebten die Bürger an ihm … wenn sie nicht selbst betroffen waren.
    Am Verhandlungstag war Hans Zwick schon mit dem ersten Hahnenschrei aufgestanden, um zeitig nach Staufen zu kommen. Er hatte sich noch mit dem Kastellan und dem Propst besprechen wollen, bevor er die zwölf Beisitzer – von denen sechs aus dem gesamten rothenfelsischen Landgebiet und sechs aus der Immenstädter Bürgerschaft kamen – vergatterte und ihnen vor Verhandlungsbeginn die Möglichkeit gab, nochmals Einsicht in die Gerichtsakten und in die Unterlagen der Voruntersuchung zu nehmen. Da die Reise von Immenstadt nach Staufen recht holprig verlaufen war und er zudem auch noch den ›flotten Otto‹ hatte, war seine Laune dementsprechend. Dennoch bot er den Staufnern großzügig an, drei Beisitzer aus ihren Reihen zu stellen. Der Kastellan und der Propst wussten dieses Angebot zu schätzen, winkten aber dankend ab.
    »Kein einziger Staufner ist unvoreingenommen«, argumentierte Ulrich Dreyling von Wagrain, der nicht nur gräflicher Schlossverwalter, sondern gleichzeitig auch interimistischer Ortsvorsteher war.
    »Belassen wir es bei den Beisitzern, die Ihr zuvor schon bestallt habt. Das verspricht eine gerechtere Verhandlung«, ergänzte der Propst.
    »War der Angeklagte etwa gerecht?«, gab daraufhin Zwick mit fragendem Blick zu bedenken, während er die Augenbrauen nach oben zog und die Lippen

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