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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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her und versteckt Euch nicht. – Immerhin seid Ihr Beisitzer dieses Gerichts«, winkte der Richter Melchior Henne, der lieber bei seinesgleichen bleiben wollte, zu sich aufs Podium.
    »Ja, Euer Ehren«, murmelte der Leinweber missmutig. Dass etliche seiner Altersgenossen nur allzu gerne mit ihm getauscht hätten, nützte ihm nichts. Er musste tun, was er nicht wollte, ihm aber befohlen worden war.
    Da alle das kommende Geschehen möglichst gut mitverfolgen mochten, kam es bei der Belegung der besten Plätze zu einigen Rangeleien.
    »Lasst mich durch! – Der hat meine ganze Familie ausgelöscht«, schrie ein Mann mittleren Alters und schubste den vor ihm Stehenden, auf dessen Schultern ein etwa sechs Jahre alter Knabe saß, so heftig beiseite, dass das Kind unsanft auf den Boden fiel und sich die linke Schulter auskugelte.
    Währenddessen begleiteten zwei Wachen den Verurteilten auf das grob zusammengezimmerte Podium, auf dem schon der Henker und das hohe Gericht warteten. Sie nahmen ihm die Ketten ab und banden ihm die Hände mit einem groben Strick auf den Rücken. Dabei gingen sie nicht gerade zimperlich mit ihm um und ließen sich auch nicht davon beeindrucken, dass der Medicus an den Armgelenken blutete. »Der spürt sowieso bald nichts mehr«, lachten sie.

    Nach allseitigen Unterhaltungen wurde es ruhiger, und auch die letzten Gespräche verstummten. Alle starrten zum Galgen. Keinen interessierte der traumhafte Blick zur Bergkette hinüber.

    Einsetzender Trommelwirbel, gefolgt von langsamen dumpfen Schlägen, kündeten die letzten Minuten im Leben des im Königreich Schlesien geborenen Arztes Heinrich Schwartz an.
    Das Volk war ruhig, als der Landrichter das ›Friedgebot‹ wiederholte und mit eindringender Stimme einige Verhaltensregeln vorgab, die er mit den Worten »Wer den Henker bei dessen Arbeit behindert, wird hart bestraft« beendete.
    Da seine Einschüchterung wirkte, blieb dem Volk nur noch, ängstlich kuschend zu raunen. Da dies dem Richter sichtlich gefiel, wollte er noch etwas nachlegen. Bei diesem Gedanken grinste er unverhohlen. Erst als schon wieder Flüche laut wurden, änderte er seinen Gesichtsausdruck und rief mit unnötig lauter Stimme: »Ich warne das Volk von Staufen nochmals eindringlich davor, sich in den Gerichtsakt einzumischen.«
    Bevor Zwick fortfuhr, zeigte er in Richtung des Henkersknotens. »Falls der Strick reißen sollte oder etwas anderes Unvorhergesehenes geschehen sollte, darf niemand selbst Hand an den Verurteilten legen. – Habt ihr das verstanden? – Unter keinen Umständen!«
    Die Menschen starrten abwechselnd zum Richtergremium und zum Medicus.
    Als der Propst vortrat und zuerst den Delinquenten, dann den Henker und danach alle Anwesenden mit Weihwasser segnete, überprüfte der Henker die zusammengebundenen Hände des Todgeweihten und strich fast zärtlich über das dicke Hanfseil, während er sich – einer alten Tradition folgend – leise an sein Opfer wandte: »Im Namen meiner selbst, meines Weibs und meiner Bälger, aber auch im Namen der rothenfelsischen Rechtsprechung und der von Euch selbst verübten Taten, des Herrgotts und aller Heiligen erbitte ich Eure Verzeihung.«
    Er sah den Medicus so lange an, bis dieser krampfhaft den Kopf hob.
    »Verzeiht Ihr mir?«, fragte der Henker und blickte ihm jetzt so intensiv in die verquollenen Augen, bis dieser stumm nickte.
    »Ich danke Euch«, flüsterte er kaum hörbar und streifte ihm eine Kapuze über den Kopf, damit er ihm die Schlinge um den Hals legen konnte.
    »Haltet ein!«, rief der Landrichter energisch.
    Den Medicus durchfuhr es wie der Blitz. Da er nicht wusste, wie ihm geschah, keimte sofort Hoffnung in ihm: Wenn der Richter dem Henker Einhalt gebietet, kann es sich nur um eine unverhoffte Begnadigung handeln. Dabei kam ihm auch noch der abstruse Gedanke, dass doch noch der Totengräber gekommen war, um ihm zu helfen.

    Die Menschen sahen sich gegenseitig fragend an, bevor sie erst zum Medicus blickten, dem die Hoffnung schlagartig wieder Leben eingehaucht zu haben schien, dann ihre Köpfe dem Landrichter zuwandten.
    »Was ist los? – Warum geht es nicht weiter? – Hängt ihn endlich auf!«, hörte man die Menge jetzt wieder mutig rufen.
    »Ruhe!«, gebot der Zeremonienmeister, der dieses Mal sein ernstestes Gesicht aufgesetzt hatte, was aber trotzdem nichts half.
    Also mussten es die Trommler richten: Bum – Bum – Bum …, dröhnte es und übertönte langsam aber sicher das Gemaule des

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