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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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entschieden zu weit ging und er aufgrund des verbrannten Bratens der Kronenwirtin sowieso schon stinkig war, befahl er: »Sorgt für Ruhe und bahnt uns einen Weg durch die Menge, damit sich der Zug endlich zur Richtstätte in Bewegung setzen kann.«
    »Zu Befehl, Euer Gnaden«, kam es zackig zurück, bevor der Offizier auf der Hacke kehrt machte, um zu tun, was von ihm erwartet wurde.
    So dauerte es nicht lange und es konnte losgehen. Allen voran schritten die Trommler, die mit dem Alabrevetakt den Schritt vorgaben. Sie waren Mitglieder der Immenstädter Stadtkompanie und hielten es für eine große Ehre, an diesem hochgradig interessanten Akt der Sühne dabei sein zu dürfen.
    Ihnen folgten zwei weitere Wachen mit ihren imponierenden Hellebarden, dann kamen elf der Beisitzer, bevor der Richter – in die Mitte genommen vom Propst und dem Kastellan – folgten.
    Erst in großem Abstand dahinter schritt der Henker. Durch seine Kapuze mit dem maskenartigen Gesichtsteil, das nur über Öffnungen für die Augen, nicht aber für den Mund verfügte, konnte man nicht im Entferntesten erahnen, in welcher Gemütsverfassung sich der Vollstrecker des soeben gefällten Gerichtsurteils gerade befand. Die aus dünnem Eisenblech getriebenen Gesichtszüge seiner maskenartigen Kapuze deuteten einen auffälligen Zwirbelbart an und zeigten über den schlitzartigen Augenlöchern zwei hochgezogene Faltenreihen, die das Antlitz fast zynisch erscheinen ließen. Was das gut erkennbare blecherne Stirnrunzeln letztlich für eine Symbolik hatte, wusste allerdings niemand. Sollte es so aussehen, als wenn der Vollstrecker nachdenklich dreinschaute oder steckte doch ein zufriedener Gesichtsausdruck aufgrund des Sieges der Gerechtigkeit dahinter? Und was den auffällig ziselierten Bart betraf, so glaubten die Menschen, dass er dem Schnäuzer des Grafen nachempfunden und dem Scharfrichter als Vollstrecker der gräflichen Gesetzgebung symbolisch übertragen worden war.
    Jedenfalls sah der Henker mit dieser rötlich gefärbten Kapuzenmaske und seiner schwarzen Pluderhose, die er am Bauch und an den Beinen nur mit Stricken zusammengebunden hatte, wahrhaft zum Fürchten aus. Dieser Wirkung war sich der Vierunddreißigjährige wohl bewusst. Um sie zu verstärken, hatte er seinen muskelbepackten Oberkörper mit minderwertigem Tierfett eingerieben. Dementsprechend bestialisch stank er auch. Er kreuzte die muskulösen Unterarme, an denen er schwarze Lederstulpen trug, immer noch vor der Brust.
    Der schwitzende Geselle hatte extra aus der bischöflichen Residenzstadt Kempten herbeizitiert werden müssen, weil der Immenstädter Carnifex Hermann Leimer wieder einmal nicht auffindbar gewesen war, obwohl ihn sein aus Schongau stammendes Weib, das selbst einem alten Henkersgeschlecht entstammte, in allen Wirtshäusern Immenstadts gesucht hatte.
    So also musste sein Kemptener Kollege Georg Baier die Arbeit übernehmen und dazu auch noch Leimers stinkende Kapuzenmaske tragen. Baier war schon gestern Mittag nach Staufen gekommen. Da ihm gesagt worden war, dass das zu erwartende Todesurteil womöglich am Galgen vollstreckt werden solle, hatte er sich mit den örtlichen Begebenheiten in Staufen vertraut machen wollen und war bei den Aufbauarbeiten des Gerüstes dabei gewesen.
    Er konnte es kaum erwarten, sein blutiges Handwerk ausführen zu dürfen. Immerhin sollte er für seine heutige Arbeit stolze dreieinhalb Gulden und zusätzlich eine angemessene Entschädigung für die dreitägige Trennung von seiner Familie bekommen.
    Der Henker stank durch das Tierfett, das erst jetzt durch die Körperwärme und die strahlende Frühjahrssonne das richtige Aroma entfaltete, derart, dass eine der beiden Wachen trotz des großen Abstandes, den sie zu ihm hielt, die Nase rümpfte.
    »Mir stinkt diese Arbeit«, meinte er wortsinnig zu seinem Kameraden.
    »Ich weiß nicht, was du hast. Ich rieche nichts«, kam die Antwort seines grinsenden Kameraden, der kleine Stofffetzen zu Kügelchen gerollt und sich in die Nasenlöcher gestopft hatte. »Und nun komm endlich!«, sagte er noch und zog den anderen zu sich, um mit ihm zusammen ein ordentliches Bild abzugeben.
    Hinter den Wachen hatte der Carnifex den Verurteilten auf einem Gefangenenwagen positioniert. Dessen Hände und Füße waren an den Eisengittern des so genannten ›Angstkäfigs‹ angekettet worden. Um den Hals trug er eine dicke Eisenkrause, die es nur unter großen Schmerzen zuließ, den Kopf zu senken. Aber dies versuchte

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