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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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nicht und ließen ihn ausführlich berichten. Dabei überraschte der pfiffige junge Mann seine Eltern mit einer äußerst präzisen Schilderung der gestrigen Begebenheiten. Lodewig verstand es, die Ereignisse lückenlos, haarklein und verständlich wiederzugeben. Als er an der Stelle, als sie vor dem Totengräber zum zweiten Mal hatten fliehen müssen, angekommen war, machte er es ungewollt noch spannender.
    »Darf ich zum Abort? – Ich muss mal«, sagte er und rannte, ohne auf eine Genehmigung zu warten, aus der Küche.
    »Kein Wunder! Mir ist die Sache auch schon auf den Magen geschlagen«, kommentierte dies seine Mutter, ging in die Speisekammer und kam mit der Weinbrandgalone zurück.
    »Jetzt schon? Am frühen Morgen?«, lästerte ihr Mann, der aufgrund des Gehörten ebenfalls einen kräftigen Bodenseeschnaps vertragen konnte.
    »Gesundheit!«, sagte Konstanze und stieß mit ihrem Mann an.
    »Der bedauernswerten Frau vom Leprosenfriedhof hilft dies auch nicht mehr«, war sein zynischer Kommentar.
    Seine Frau entgegnete ihm nichts. Sie wusste, dies war normalerweise nicht seine Art und jetzt lediglich ein Überspielen dessen, was sie soeben erfahren hatten. Stattdessen hörte sie ihm aufmerksam zu, als er sagte, dass Melchior Henne sicherlich den Ortsvorsteher informieren wollte, vermutlich aber noch nicht wusste, dass er, der Kastellan, jetzt als Ortsvorsteher fungierte.
    »Wenn auch nur kommissarisch!«, bemerkte er noch, bevor Lodewig zurückkam. Jetzt fiel seiner Mutter auf, dass ihr Sohn barfuß war.
    »Na warte«, flüsterte sie.
    »Entschuldigt bitte. Aber …«
    »Schon gut«, fiel ihm die Mutter ins Wort und blaffte ihn an: »Was soll das, Lodewig? Warum hast du keine Schuhe an? Es ist um diese Jahreszeit schon zu kühl, um noch mit bloßen Füßen zu gehen.«
    Stotternd berichtete Lodewig jetzt den Rest seines Abenteuers, das mit dem Leichenfund begonnen und mit der Flucht vor dem Leichenbestatter geendet hatte.
    »Dann hat also der Totengräber deinen rechten Schuh?«, wollte die Mutter bestätigt wissen.
    »Ja«, kam es einsilbig aus Lodewig heraus. Da er wusste, dass Schuhe viel Geld kosteten, war er jetzt ganz kleinlaut und senkte reumütig den Kopf.
    »Ach, das ist doch nicht so schlimm«, bremste der Vater seine Frau.
    Konstanze hatte sofort verstanden, was er damit bezwecken wollte und spielte mit: »Du hast recht, Ulrich. Bei nächster Gelegenheit gebe ich beim Lederer einen neuen Schuh in Auftrag. Lodewig, du musst mir nur den einzelnen Schuh mitgeben, damit ich ein Muster für ihn habe«, schickte Konstanze ihren Sohn aus dem Raum und schenkte sich und ihrem Mann nochmals einen Branntwein ein. Dabei sah sie ihm lange und sorgenvoll in die Augen. Ulrich Dreyling von Wagrain nickte. »Wir wissen beide, was das bedeuten könnte«, sagte er, verharmloste seine Aussage aber, indem er anfügte, die Tote vom alten Leprosenfriedhof und die Sache auf dem Kirchhof seien ›zweierlei Paar Schuhe‹.
    »Deine läppischen Wortspielereien in Ehren, aber bitte nicht jetzt!«, schimpfte seine Frau. »Tatsache ist, dass unsere Söhne in Lebensgefahr schweben.«
    »Nun übertreib nicht! Dass ein Totengräber tagsüber auf dem Gottesacker anzutreffen ist, dürfte nichts Ungewöhnliches sein. Das ist sein Arbeitsplatz! Es war ja gerade erst dunkel geworden, als er sich mit jemandem unterhalten hat. Und dass eine andere erwachsene Person dabei war, ist auch nichts Außergewöhnliches. Jedenfalls ist dies nicht verboten, oder?«
    »Aber er hat unsere Söhne über den ganzen Kirchhof gejagt, nicht wahr?«, konterte seine Frau und betonte dabei ganz besonders das ›nicht wahr?‹.
    »Lodewig hat doch gesagt, dass es zu diesem Zeitpunkt schon dunkel war. Es ist Aufgabe des Totengräbers, auf dem Kirchhof für Ordnung zu sorgen, und dazu gehört auch, dass er Unbefugte rausschmeißt. Mit Einsetzen der Dunkelheit hat dort niemand mehr etwas verloren, schon gar keine Kinder«, beendete der Vater diesen Teil des Disputs und stopfte seine Pfeife.
    Nachdem er daraufhin Konstanze ein Weilchen die wildesten Theorien hatte aufstellen lassen und es ihm irgendwann zu abenteuerlich geworden war, unterbrach er sie: »Wichtig zu wissen wäre, worüber der Totengräber mit dem ominösen Unbekannten gesprochen hat.«
    Als ihr Mann mit einem zufrieden wirkenden Gesichtsausdruck die Pfeife anzündete und genüsslich daran zog, platzte Konstanze, die im Laufe des Gespräches ihre alte Form wiedergefunden hatte, der Kragen: »Sag mal,

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