Die Pestspur
der Kastellan abgestiegen waren, hatte Ignaz die Zügel übernommen und das Pferd in den Stall geführt, um es abzusatteln. Wie immer, wenn Vaters Rappe mit Stroh abgerieben, gefüttert und getränkt werden musste, wollten die Brüder helfen. Obwohl gerade Lodewigs Hilfsbereitschaft heute besonders groß zu sein schien, würde daraus wohl nichts werden.
»Ich wasche den Sattel gleich noch ab. Morgen ist er wieder trocken, dann fette ich ihn ein, und er ist wie neu«, hatte der Knecht den zerknirscht dreinschauenden Diederich beruhigt, bevor er die jetzt ausnahmsweise nicht strenge, sondern irgendwie hilflos klingende Stimme seiner Herrin hörte. Während Lodewig besonders anhänglich war und am liebsten im Stall geschlafen hätte, rannte Diederich sofort nach draußen.
»Ulrich! Endlich! … Die Kinder sind verschwunden!«, rief sie und eilte ihrem Mann entgegen.
Noch bevor er etwas sagen konnte, hatte sie weinend ihren Kopf an seiner breiten Brust vergraben. Bevor der Kastellan die Sache aufklären konnte, zupfte Diederich an Mutters Schürze.
»Mama! … Mama!«, schluchzte er.
Um zu realisieren, dass ihr Jüngster da war, benötigte Konstanze einen endlos scheinenden Moment.
»Diederich, mein kleiner Liebling«, entfuhr es ihr glücklich, bevor sie ihn hochhob, küsste und an ihr Herz drückte. Aber ihre Stimmung änderte sich sofort wieder, als ihr Lodewig in den Sinn kam. »Wo ist Lodewig?«, fragte sie knapp. Ihre Gefühle schwankten zwischen Glück und Zorn.
Dabei lächelte ihr Mann sie sanft an.
»Bleib gelassen, Konstanze. Lodewig ist auch hier. Alles ist in Ordnung. Den Buben fehlt nichts.«
Anstatt sich über die Aussage ihres Mannes zu freuen, fragte sie ungläubig: »Wo? … Wo ist er?« Sie konnte ihn nirgends entdecken.
»Nun sei ein Mann und komm schon her!«, rief der Vater in gütigem Ton Richtung Stall, aus dem Lodewig ganz vorsichtig hervorlugte.
»Geh endlich! Sie wird dir schon nicht den Kopf abreißen«, ermunterte auch Ignaz seinen jungen Herrn und schob ihn aus dem Stall hinaus.
Erst als Konstanze auch ihren mittleren Sohn sah, konnte sie ihr Glück fassen und schickte dem sternenlosen Nachthimmel ein inniges »Dem Herrgott sei gedankt«, entgegen, wechselte aber sofort wieder den Tonfall. »Was ist geschehen?«, wollte sie wissen.
Mit einer beruhigenden Geste entgegnete ihr der Vater: »Jetzt nicht, Liebste. Ich erkläre dir alles später.«
Die strenge Mutter ließ nur aus dem Grund locker, weil Lodewig inzwischen bei ihnen war und sie auch ihn an sich drücken wollte. Die drei wurden so fest geherzt, wie es schon lange nicht mehr der Fall gewesen war. Es war sonst nicht die Art der nach außen hin kühl wirkenden Frau, ihre Männer mit Küssen und Streicheleinheiten zu überschütten. Dass sie ihren Mann und ihre Kinder liebte, bekundete sie tagtäglich dadurch, dass sie alles dafür tat, um sie bestens zu versorgen – und dies musste schließlich genügen. Aber jetzt war sie einfach glücklich darüber, alle wieder gesund um sich zu haben.
*
Schon seit dem späten Nachmittag, als ihr das Fehlen ihrer beiden Söhne aufgefallen war, hatte sie sich große Sorgen gemacht und weder ein noch aus gewusst. Dass ihr Mann auch nicht da war, hatte die ansonsten starke und besonnene Frau zunehmend hilflos werden lassen. Als es dann auch noch zu dämmern begonnen hatte, hatte sie ein Sakrileg begangen und gleichzeitig beide Schlosswachen damit beauftragt, die Buben im Dorf unten zu suchen. Dass sie damit riskiert hatte, das Schloss einige Stunden unbewacht zu lassen, hatte sie billigend in Kauf genommen.
»Aber nicht im Wirtshaus suchen!«, hatte sie Rudolph nachgerufen.
Da ihnen bis zum Einsetzen der Dunkelheit nicht viel Zeit geblieben war und sie sich um den Schutz des Schlosses gesorgt hatten, waren die Wachen zum Entsetzen ihrer Herrin schneller als gedacht und noch dazu erfolglos zurückgekehrt.
Sie selbst hatte indessen jeden Raum und jeden Winkel innerhalb des Schlosses abgesucht und dabei herumgeschrien wie eine Furie. Und für das Außengelände der großen Schlossanlage hatte sie Ignaz, der lieber als Ersatztorwache fungiert hätte, eingeteilt. Ihre Magd hatte sie die Gärten und die Wiesen in der Umgebung des Schlosses absuchen lassen. Dabei war Rosalinde zwar der schlechte Zustand der Südmauer aufgefallen, aber darüber hatte sie geschwiegen. Nachdem es dunkel geworden war, wäre die besorgte Mutter aus Angst und Sorge um ihre Buben fast wahnsinnig geworden. Dennoch
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