Die Pestspur
gab es nicht.
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Dass Markttag war, kümmerte den Kastellan ausnahmsweise einmal nicht. Er musste dringend nach Stiefenhofen, um mit dem dortigen Pfarrer Marcus Besler zu sprechen. Da der Priester ursprünglich aus Immenstadt gekommen war, kannte er ihn von früher. Er mochte den Pfarrer, den er für einen hinterlistigen Arschkriecher hielt, nicht besonders. Erst vor fünf Jahren hatte Besler die Pfarre Stiefenhofen übernommen. Warum er aus der aufstrebenden Residenz Immenstadt fortgegangen war, wusste Ulrich Dreyling von Wagrain nicht. Obwohl er nie nachgefragt hatte, wäre es interessant zu wissen, ob der Pfarrer in dieses Nest am nordwestlichen Rand des rothenfelsischen Herrschaftsgebietes deswegen strafversetzt worden war, weil er sich den Messdienern unsittlich genähert und schlimme Dinge von ihnen verlangt haben soll. Aber es interessierte ihn eigentlich nicht wirklich. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen und war nur aus diesem Grund auf dem Weg nach Stiefenhofen, das gerade noch zum Herrschaftsgebiet seines Herrn gehörte und dessen nordwestlicher Zipfel die Grenze war. Ein eingelassenes Rautenwappen im dortigen Kirchturm sollte eigentlich die erst vor vier Jahren neu vermessene Grenze zwischen den Ländereien der Königsegger und deren Nachbarn markieren. Seit drei Monaten aber gab es weder den Kirchturm noch die Kirche selbst mehr. Im Brachmonat waren schwedische Soldaten durch Stiefenhofen gezogen und hatten dort großen Schaden angerichtet. Genau zu der Stunde, als die Mittagsglocken geläutet hatten, waren die Kirche und neun Häuser in Brand gesetzt worden. Die Schweden hatten ganze Arbeit geleistet, denn schon um drei Uhr nachmittags hatte alles in Schutt und Asche gelegen. Dies war auch der Grund, warum Oberamtmann Speen den Kastellan gebeten hatte, mit Pfarrer Besler zu besprechen, was von Seiten des Oberamtes zu tun sei, um den Stiefenhofner Untertanen zu helfen.
»Staufen liegt näher an Stiefenhofen als Immenstadt«, hatte Speen als Argument ins Feld geführt, um den treuen Ulrich Dreyling von Wagrain dorthin entsenden zu können.
Obwohl es eigentlich nicht die Aufgabe des Kastellans war, erfüllte er den Wunsch des Oberamtsmannes gerne. So hatte er nach langer Zeit wieder einmal die Gelegenheit, an der Harbatshofer Steige etwas zu erledigen, was er schon lange vor sich herschob. Außerdem hatte er im unweit von Stiefenhofen gelegenen Harbatshofen Bekannte, die eine Taverne betrieben. Eine willkommene Gelegenheit also, dort einen Besuch abzustatten. Sicherheitshalber hatte er Konstanze darauf vorbereitet, dass er – wenn die Zeit für die Rückreise am gleichen Tag zu knapp werden sollte – in Harbatshofen übernachten werde. Obwohl dies Konstanze ganz und gar nicht gefallen mochte, hatte sie die Entscheidung ihres Mannes akzeptiert.
Der Kastellan wusste, dass er die Strecke nicht an einem Tag bewältigen konnte. Er wollte beim Hinweg zwar den flachen und schmalen Pfad über Oberthalhofen nehmen, beim Rückweg aber die breitere Straße über Stiefenhofen benutzen. Da die dorthin führende Harbatshofer Steige so steil war wie der gefürchtete Hahnschenkel, würde es selbst das stärkste Ross nicht schaffen, mit zwei Reitern den Anstieg hochzukommen. Also müsste er zumindest diesen Teil des Rückweges zu Fuß gehen und seinen Rappen an der kurzen Leine führen. Außerdem musste er seiner Frau erst noch beichten, dass er Lodewig mitnehmen wollte. Sie würde zwar maulen, müsste dies aber verstehen, weil es sich hierbei um eine Art innerbetrieblicher Weiterbildung für ihren Sohn handelte. Da hausintern längst entschieden war, dass Lodewig sein Nachfolger im Amte werden sollte, konnte es nicht schaden, wenn sich der junge Mann so nach und nach auch in die Belange außerhalb des Schlosses einarbeitete. Je mehr Lodewig über die Arbeit eines Schlossverwalters wusste, umso größer war die Möglichkeit, dass ihn der Graf tatsächlich als Nachfolger bestallen würde. Da es sich um kein Amt handelte, das automatisch vom Vater auf den Sohn vererbt wurde, musste Lodewig dem Grafen erst beweisen, dass er als würdiger Nachfolger in Frage kam. Insbesondere auch deshalb, weil es sich um einen bei der Immenstädter Aristokratie äußerst begehrten Posten handelte, der schneller vergeben sein konnte, als es dem Kastellan lieb war. Umso mehr war es seine Aufgabe, Lodewig jetzt schon mit allen anfallenden Aufgaben vertraut zu machen.
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So ritten sie nun mit dem Segen der Mutter in Richtung Norden aus
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