Die Pestspur
Staufen hinaus. Auf ihrem Weg nach Stiefenhofen mussten sie zuerst an der ›Weißenbachmühle‹, die nichts mit der zu Staufen gehörenden Ortschaft Weißach und dem Bach gleichen Namens zu tun hatte, vorbei, bevor sie durch das unterhalb und kurz vor Stiefenhofen liegende Oberthalhofen kamen. Als es so weit war und sie auf die Wassermühle zuritten, winkte ihnen die alte Weißenbachmüllerin schon von weitem.
»Gott zum Gruße, gute Frau!«, rief ihr der Kastellan freundlich zu und stieg mit seinem Sohn ab, um eine kleine Pause einzulegen.
Da es vorne zu eng und auf dem hinteren Teil von Vaters Sattel nicht gerade gemütlich war, schmerzte Lodewigs Hintern etwas. Dies hätte der junge Mann zwar nie zugegeben, doch er freute sich über eine Rast, die er gerne dazu nutzte, sich mit der Funktion eines Wasserrades zu befassen und dem Weißenbachmüller bei der Arbeit zuzusehen. Da hier nicht jeden Tag rechtschaffene Reisende vorbeikamen, freute sich die alte Frau, der man an den Furchen im Gesicht ansah, dass sie ihr Leben lang hart gearbeitet hatte, auf ein Schwätzchen mit dem noblen Herrn aus Staufen.
Sie setzten sich auf die etwas abseits des Hauses unter einem Schatten spendenden Baum stehende Bank und unterhielten sich. Während der hohe Gast einen Becher Apfelmost trank, erfuhr er, dass die alte Weißenbachmüllerin vor kurzem im nahen Stiefenhofen Rauchwolken hatte aufsteigen sehen.
»Schwein gehabt! Die Schweden haben unser verstecktes Tal wohl nicht gefunden«, meinte sie verschmitzt und lachte sich ins Fäustchen.
Sie erzählte auch noch, dass ansonsten alles in Ordnung war und lediglich das Brot und die Milch künftig noch knapper werden würden, da die Frau ihres ältesten Enkels schon wieder guter Hoffnung sei. »Das halbe Dutzend wird dann voll! – Aber Hauptsache, die Bälger sind alle gesund«, verkündete die Alte stolz, während sie beim Lachen ihre wenigen gelben Zähne zeigte.
*
In der Zeit, als sich der Kastellan und die Weißenbachmüllerin unterhielten, hatte sich in Staufen ein geschäftiges Markttreiben entwickelt. Außer am St. Mang-Tag, an dem die Staufner seit 1453 alljährlich zum großen Jahrmarkt rüsteten, organisierten sie im unteren Flecken einmal wöchentlich den zwar wesentlich kleineren, aber dennoch beachtlichen › Fierantenmarkt ‹, ein gemütlicher Wochenmarkt, an dem sich die einheimischen Erzeuger, aber auch etliche Kaufleute und Warenproduzenten von auswärts einfanden, um Produkte für den täglichen Bedarf und auch allerlei unnützes Zeug anzubieten. Kaufen und verkaufen, lautete das Motto … und natürlich feilschen, wo es ging. Da selbst auf dem kleinen Wochenmarkt in Staufen erhebliche Warenwerte zusammenkamen und es das eine oder andere Mal auch schon zu Raufereien und Diebstählen gekommen war, bestand an diesem Tag ein besonders hohes Sicherheitsbedürfnis.
Um den Marktfrieden auch in wirtschaftlich harten Zeiten zu gewährleisten, entsandte Oberamtmann Speen im Auftrag des Grafen jeden Mittwoch zwei Soldaten der Immenstädter Stadtgarde nach Staufen. Deren schmucke Uniformen wurden nicht nur von den Kindern, sondern auch von den Erwachsenen bestaunt. Da das öffentliche Tragen von Waffen dem Volk verboten war und der Kastellan nicht in Staufen weilte, waren die beiden Soldaten heute die einzigen Bewaffneten. Sie trugen nicht nur die beim Militär üblichen Dolche und Säbel, sondern zusätzlich lange Trabantenhelmbarten, die man im Volksmund nur als Hellebarden kannte.
Wie etliche andere Handwerker hatte auch der Kesselflicker seinen Stand aufgebaut. Der an jeglicher Metallverarbeitung interessierte Mann kannte sich gut mit der Herstellung von Waffen aus und tauschte sein Wissen gelegentlich mit den jeweiligen Dorfschmieden aus. Da der hiesige Hufschmied Baptist Vögel nicht da war und er gerade Zeit hatte, erzählte er einem interessierten Jungen, dass die Hellebarden seit der Einführung der Feuerwaffen zwar nicht mehr zeitgemäß seien, von den rothenfelsischen Wachsoldaten aber heute noch benutzt würden.
»Diese Waffe …«, berichtete er mit wissender Miene und einem listigen Blitzen in den Augen, die nur danach trachteten, weitere Zuhörer auszumachen, »verfügt über einen Schaft, der mit Messingnägeln und schmalen Eisenbändern an der langen Holztülle angebracht ist. In der Schaftachse liegt eine lange, einfach verzierte Stoßspitze mit rautenförmigem Querschnitt. Siehst du?«, fragte er, während er auf die Langwaffe zeigte und mit
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