Die Pestspur
Selbstverarbeitung feilbot. Aus diesem lose gewebten Stoff konnten sich die einfachen Leute ihre Kleider selbst herstellen. Heimische Leinenstoffe boten Melchior Henne und manchmal auch seine Mutter an, während der Vater für Nachschub zu sorgen hatte. Rohwolle zum Spinnen und Weben gab es bei Bechtelers Weib aus der eigenen Schafzucht ihres Mannes. Geschickte Frauenhände machten daraus oftmals so schöne Tücher, dass sie diese mit großem Erfolg weiterverkaufen und sich bescheidene Einkünfte sichern konnten. Manchmal waren auch der Messerschleifer und der Schuhflicker hier. In der Hauptsache aber wurden das wertvolle Salz, mehr oder weniger wirksame Gesundheitstinkturen, Heilkräuter, Schmalz, Gemüse, Obst und gepökeltes Fleisch angeboten. Da der Staufner Bäcker Föhr keinen Gesellen hatte und seine Backstube allein betreiben musste, war es ihm nicht möglich, so viel Brot zu backen, dass er es auch noch beim Wochenmarkt verkaufen konnte. Also wurden Brot und Mehl von einer größeren auswärtigen Bäckerei angeboten. Dafür stammten die Hühner und Eier ausschließlich von hier, denn Judith Bomberg war es gelungen, innerhalb kurzer Zeit eine profitable Hühnerzucht aufzubauen und sich als einzige Händlerin dieses Bereichs durchzusetzen. Allerdings hatte sich die Jüdin dadurch auch den Neid etlicher Staufner zugezogen, der von den ständigen Hetzreden des örtlichen Schuhmachers zusätzlich genährt wurde.
*
Zur Freude der Kinder flatterten einem Gänsezüchter zwei seiner Viecher davon. Offensichtlich war er beim Öffnen des Käfigs unvorsichtig gewesen. Die sensiblen Tiere spürten wohl, was ihnen bevorstand, und wollten sich das blütenweiße Gefieder nicht mit roten Flecken verderben lassen. Solche Szenen gehörten bei einem bunten Markttreiben ebenso dazu wie ein extravaganteres Angebot, zu dem zweifellos Fisch gehörte. Manchmal bot ein Winzer neben Wein vom Bodensee auch gepökelte Felchen an. Frischer Fisch hätte den weiten Weg vom See hierher nicht unbeschadet überstanden. Außerdem war frischer Fisch viel zu teuer. Der Weinhändler kam nicht nur zum Markt, um Wein und Fisch zu verkaufen, sondern auch, um bei einem anderen Händler Pökelsalz einzutauschen, das er dann mit Gewinn an die Bodenseefischer weiterverkaufte. Somit war der Weinbauer gleichzeitig ein Wiederverkäufer des Salzfaktors , der sich für seine privaten Nebengeschäfte den weiten Weg vom Allgäu bis an den Bodensee sparen konnte.
»Wenn der Wein nicht läuft, verkaufe ich eben Fisch. Und wenn ich keinen Fisch habe, verdiene ich am Salz … irgendwas geht immer«, pflegte das Schlitzohr stets zu sagen, wenn es auf sein nicht gerade zusammenpassendes Angebot angesprochen wurde.
*
Immer wenn der geschäftige Weinbauer aus Eriskirch in Staufen war, hoffte er darauf, dass im Schloss eine Gesellschaft gegeben und die Frau des Kastellans dafür einkaufen würde. Aber heute würde er wohl wieder Pech haben, da der Graf abwesend war. Ohnehin wurden in dieser unruhigen Zeit keine Feste gefeiert, jedenfalls nicht in Staufen.
Konstanze war heute nur zum Markt gekommen, um Getreide oder Mehl zu besorgen und ihre persönlichen Lagerbestände aufzufüllen, nicht aber, um Spezereien zu erwerben. Außerdem sollte sie ihrem Mann ein so dickes Hanfseil mitbringen, wie es das Musterstückchen vorsah, das er ihr mitgegeben hatte. Wie immer hatte sie Diederich dabei, für den der Markt stets eine willkommene Abwechslung und ein Abenteuer war. In ihrem Kretten befand sich Lodewigs linker Schuh, den sie dem Lederer als Muster mitzugeben gedachte.
Sie freute sich, dass der Schuhflicker heute da war; so konnte sie ihn fragen, ob er ein Pendant zum rechten Schuh ihres Sohnes anfertigen könne. Um den Preis möglichst niedrig zu halten, sollte er sich damit bis zum Einbruch des Winters Zeit lassen können. In Gottes Namen musste sich Lodewig so lange mit seinem alten, eigentlich zu kleinen Schuhwerk, das für Diederich noch zu groß war und deswegen auf dem Dachboden aufbewahrt wurde, bescheiden.
Wie immer hatten auch einige Männer den Weg zum Markt gefunden. So sah man den Blaufärber mit seinem Sohn Didrik Waid einkaufen, den er zum Färben von Stoffen benötigte.
*
Auch der Totengräber schlich herum und tuschelte wie immer mit dem ›Bunten Jakob‹, wie der reisende Händler landauf landab genannt wurde, weil er mit allem schacherte, was es nur gab. Sein Wagen sah so kunterbunt aus wie ein Bläzlisbutz . Er kaufte die unmöglichsten
Weitere Kostenlose Bücher