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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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sich breit machende Dunkelheit schickte sich an, das orangene Gemälde der Sonne am Firmament zu verwischen, als die Blaufärbers anfingen, an die Türen der nächstgelegenen Häuser zu klopfen, um nachzufragen, ob der Bub gesehen worden war. Nichts! Die Menschen hatten jetzt genug mit sich selbst zu tun, gaben zwar allesamt freundliche Antworten, waren aber froh, die Haustüren schnell wieder schließen zu können, um mit dem Ausräuchern der Stuben zu beginnen oder damit fortzufahren. Sie brannten ›Pestbuschen‹ an, um die Luft in den Räumen zu reinigen. Sie glaubten, wenn der Rauch bestimmter Kräuter und der Wacholderbeere in die Ritzen der Holzwände drang, würde er der Pest den Weg ins Innere ihrer Häuser versperren. Sicherheitshalber dichteten sie zusätzlich auch noch die letzten Ritzen ab.

    *

    Es war bereits dunkel, als der Totengräber völlig verschwitzt im Ort ankam und kurz zögerte. Zu gerne hätte er sich noch umgezogen, aber wenn er den Medicus noch zu Hause antreffen wollte, eh dieser in die ›Krone‹ bechern ging, musste er sich sputen. Aber er hatte Pech. Der Durst des Arztes war schneller gewesen als der Sonnenuntergang.
    »Wo warst du denn so lange?«, fragte der Medicus unwirsch, der jetzt schon wieder einen an der Kante hatte, und räumte einen Stuhl für den Besucher frei.
    Die Augen des Totengräbers funkelten. »Ich habe dir die Hälfte der Arbeit abgenommen!«, lautete die patzige Antwort.
    »Was soll das heißen?«, fragte der Medicus und schob dem Totengräber seinen Schnaps hin.
    Ruland Berging wunderte sich zwar über die Großzügigkeit des Arztes, konnte jetzt aber einen Schnaps gut gebrauchen. Bevor er antwortete, kippte er das brennende Zeug in einem Zug hinunter. »Na, was wohl! Der kleinere der beiden Knaben kann nichts mehr ausplaudern. Außerdem kenne ich den Namen des größeren. Jetzt bist du dran«, grollte der Totengräber bestimmend und verhehlte nicht, was er vom Medicus erwartete.
    »Was ist geschehen …«, der Medicus schluckte, »und wie hast du es gemacht?«
    »Frag nicht! Es ist besser, wenn du das nicht weißt.« Sie schwiegen beide, dann fuhr der Totengräber fort: »Das Gerücht hat die Leute hier derart verunsichert, dass sie in Bälde nur allzu gerne in deinen Behandlungsraum kommen werden. Insbesondere, da ich gestreut habe, dass ein Kraut gegen die Pest gewachsen ist … Apropos: Hast du die Kräuter besorgt?«
    Der Medicus senkte den Kopf, als er gestand, dass er den halben Tag verschlafen und nicht an die Kräuter gedacht hatte. Als er merkte, dass der Totengräber sauer zu werden drohte, fiel ihm als Ausrede gerade noch ein, dass er ja kein Pferd gehabt habe.
    »Also gut, dann machen wir es anders: Ich erledige auch das mit dem zweiten Mitwisser, dessen Namen ich jetzt ja kenne. Dann kann ich wenigstens sicher sein, dass es klappt. Dafür nimmst du morgen meinen Gaul und reitest nach Hopfen zu diesem verrückten Kräutermischer, wo du alles für die erste und die zweite Stufe unseres Planes besorgst. Hast du das verstanden?«
    Der Medicus nickte nur. »Und noch etwas: Reite in aller Herrgottsfrühe los, damit dich niemand mit meinem Schimmel sieht. Wir dürfen – außer, dass wir uns manchmal ›zufällig‹ im Wirtshaus treffen – nicht miteinander in Verbindung gebracht werden! Hast du das begriffen?«

    *

    Der Medicus brach am nächsten Morgen tatsächlich beim ersten Hahnenschrei auf, um nach Hopfen zu reiten. Zuvor aber musste er aus Staufen hinaus bis zum Hof des Moosmannbauern laufen, wo das Pferd des Totengräbers versteckt war. Als er den Schimmel gesattelt und bestiegen hatte, fiel ihm ein, dass er etwas vergessen hatte. So ritt er – anstatt gleich in Richtung der außerhalb des Dorfes liegenden Salzstraße – noch einmal ins Dorf zurück. Auf dem Weg kam ihm winkend der verzweifelte Blaufärber entgegen, der hastig die Zügel packte um das Pferd anzuhalten. »Habt Ihr meinen Sohn Didrik gesehen?«
    »Nein, den kenne ich überhaupt nicht! Und jetzt lasst die Leine los. Ich muss weiter«, lautete die knappe Antwort des Arztes, der es vermied, dem besorgten Familienvater in die Augen zu sehen. Um nicht weiter mit Hannß Opser sprechen zu müssen, gab er dem Gaul des Totengräbers die Sporen, obwohl der Blaufärber die Zügel immer noch umklammert hielt. Den armen Mann schleuderte es zur Seite und auf den Boden, wo er ein Weilchen liegenblieb und in seiner angestauten Sorge, in die sich jetzt auch noch Wut mischte, heulend mit den

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