Die Pestspur
eines schmächtigen Jungbauern, der sich noch nicht so richtig traute, am Biertisch das Maul aufzureißen.
»Ach, die sehen doch alle gleich aus«, verwarf ein alter Handwerker, der Sensen, Dreschflegel und auch Mistgabeln herstellte, das zuvor Gesagte.
Egal welcher Berufsgruppe die Zecher angehörten und welcher Meinung sie waren, sie alle hatten eines gemeinsam: Sie einte die Angst vor einer Strafe, die sich womöglich in höheren Abgaben äußern könnte.
»Das wäre eine Katastrophe!«
»Und was ist, wenn einer von uns, stellvertretend für alle, den Blutzoll zahlen muss?«
»Um Gottes willen! Es darf nicht sein, dass wir ein Bauernopfer bringen müssen!«
So überlegten die Männer, was zu tun war, und kamen zu dem Entschluss, dass sie denjenigen, der den Wachsoldaten getötet hatte, selbst finden müssten. Die allgemeine Meinung, dass es trotz der vielen Frauen, die sich am Tumult beteiligt hatten, nur ein Mann gewesen sein konnte, hatte sich nach längerer Debatte durchgesetzt.
»Scheiße! Otto hat die Mistgabel dem Kameraden des Toten mitgegeben«, fluchte Hemmo Grob und schlug dabei mit der Faust auf den Tisch.
»So können wir nicht mehr feststellen, wem sie gehört … hat«, bedauerte ein anderer und erntete dafür allseitiges Kopfnicken.
»Aber wir können vielleicht herausbekommen, wem eine fehlt«, mischte sich jetzt der Wirt ein.
Die Männer waren auf ihre Klugheit stolz und genehmigten sich daraufhin noch ein paar Krüge Bier. Und je mehr sie tranken, umso mutiger wurden sie.
»Was ist mit der Pest?«, stellte der ansonsten redegewandte Raimund Plattlinger knapp zur Diskussion.
»Pah! – Was kann die uns schon anhaben?«, lästerte Hemmo Grob arrogant. Der siebengescheite Schuhmacher war dafür bekannt, dass er seine Weisheiten allen aufschwatzte, ob man sie hören wollte oder nicht. Er hatte es sich – ohne dass er irgendeine Befugnis hierzu hatte – zur persönlichen Aufgabe gemacht, unter dem Lumpengesindel aufzuräumen und für Ordnung zu sorgen. Er sah es als seine von Gott gewollte Mission an, alle anzuprangern, die in seinen Augen Unrecht taten. So nützte er jede sich bietende Gelegenheit, um lauthals gegen alles zu wettern, was ihm nicht passte. Auch jetzt war er in der Stimmung, zu ›predigen‹ und legte so richtig los: »Die Geschichte hat uns gelehrt, dass die große Pestilenz nur dort ausbricht, wo es Juden gibt. Wenn die Seuche jetzt von der Weißenbachmühle nach Staufen kommen sollte, hat dies seine Gründe, und ich weiß, was ich dann zu tun habe!«, erklärte er laut, während er aufstand, sich mit einer Hand auf die Tischplatte stützte und mit der anderen Hand herumfuchtelte. Der böswillige Schwätzer fuhr mit seiner Hetztirade so lange fort, bis alle Zecher in das gleiche Horn bliesen und auf die Juden schimpften, obwohl sich die in Staufen ansässige jüdische Familie des Jakob Bomberg allseitiger Beliebtheit erfreute und für deren Hilfsbereitschaft bekannt war.
Davon, dass die Pest in der Umgebung Staufens – zumindest in der unweit davon gelegenen Weißenbachmühle – ausgebrochen war, waren sowieso längst alle überzeugt.
»Aber kommt sie auch zu uns in den Flecken?«, fragte einer.
»Das wird sich wohl kaum verhindern lassen!«, antwortete ein anderer.
Jeder gab seine Weisheiten zum Besten. Selbst der schmächtige Jungbauer riss jetzt das Maul auf. Der Alkohol tat seine Wirkung und ließ den Fantasien einiger Wichtigtuer freien Lauf.
*
Als der Medicus ins Wirtshaus kam, setzte er sich wie gewohnt an den Henkerstisch im Hinterzimmer. Von hier aus hatte er einen guten Überblick und bekam alles mit ohne selbst angesprochen zu werden. So erfuhr auch er jetzt von den heutigen Begebenheiten auf dem Markt. Ich hätte dem Bunten Jakob zwar ein paar Kräutermischungen und Salben bringen sollen, bin jetzt aber doch froh, dass ich da nicht hingegangen bin, freute er sich. Aber Ruland hat mit dem Streuen des Gerüchtes wohl gute Arbeit geleistet. Wo ist er überhaupt? Wahrscheinlich treibt er sich immer noch auf dem Kirchhof herum, sinnierte er, während er hochzufrieden Becher um Becher leerte.
Kapitel 9
Inzwischen war es Ruland Berging tatsächlich gelungen, Didrik, den jüngeren Sohn des Blaufärbers, bis zur Höhle hinunter zu locken. Der Kleine hatte kein einziges Mal gejammert und auch nicht nachgefragt, wie weit es noch bis zu seiner Katze sei. Aus Sorge um seine geliebte Munzi war er einfach nur still mitgegangen. Da das Felsloch mit Farn
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