Die Pestspur
überwuchert und fast zugewachsen war, hatte der Totengräber Mühe, den Eingang zu finden.
»Hier!«, rief Didrik, der besser daran getan hätte davonzulaufen, anstatt dem Totengräber den Höhleneingang zu zeigen, freudestrahlend.
»Verdammte Scheiße!«, fluchte der skrupellose Entführer, nachdem er das dunkle Loch gesehen und festgestellt hatte, dass er – im Gegensatz zu seiner sonstigen Gepflogenheit – heute nur das Feuereisen, aber keine Kerze eingesteckt hatte.
Dennoch schob er den Buben vor sich her ins Dunkel.
Während der Totengräber weiter maulte, war Didriks freudige Erwartung in ängstliches Wimmern umgeschlagen. In dem feuchten Steingebilde war es so dunkel, dass sich seine Augen erst daran gewöhnen mussten. Dazu kamen noch die ständigen Tropfgeräusche, die dem Kind Angst einjagten.
»Komm zu mir«, bat Didrik seinen Entführer, nachdem er so laut aufgeschrien hatte, dass es von den Wänden widerhallte, weil ihn etwas Haariges an den nackten Füßen gestreift hatte. Als ihn ein zweites Mal etwas berührte und er nicht sehen konnte, dass es ein aufgeschreckter Dachs war, glaubte er, seine Katze wäre hier.
»Munzi!« Erfreut wollte er sein geliebtes Haustier zu sich rufen: »Munzi … Pssswww … Munzi … Komm zu mir! … Pssswww.«
So nach und nach gewöhnten sich auch Didriks Augen an die Dunkelheit. Als aber von seiner Katze weit und breit nichts zu sehen war, begann er zu schluchzen.
Der Totengräber wollte ihn beruhigen, um den Namen des zweiten Knaben, der auf dem Kirchhof dabei gewesen war, aus ihm herauszubringen. Aber dies gelang ihm nicht. Der Kleine heulte weiter. Sichtlich verärgert bedrohte der Totengräber das eingeschüchterte Kind. Er schrie es an und schüttelte es. Aber der Kleine wurde nur umso verstörter und konnte jetzt gar nicht mehr sprechen. Er weinte und schluchzte nur noch. So versuchte es der Peiniger zur Abwechslung mit der sanften Tour. Und diese hinterfotzige Taktik funktionierte tatsächlich: Didrik war zwar um Haltung bemüht, konnte sich aber beim besten Willen keinen Reim auf die Vorgänge um ihn herum machen. Er wusste einfach nicht, was der große Mann von ihm wollte.
»Aber ich suche doch nur meine Munzi«, jammerte er.
»Ich scheiße auf deine Katze«, entfuhr es dem Totengräber, der sich sofort wieder eines säuselnden Tones besann: »Nun sag mir, ob du auf dem Kirchhof gewesen bist.«
Da Didrik von seiner Mutter schon öfter mit auf den Kirchhof genommen worden war, um nach dem Grab der Großeltern zu sehen, konnte er die Frage mit einem eindeutigen Kopfnicken bejahen. Der Totengräber hatte schließlich nicht danach gefragt, ob dies in den letzten Tagen gewesen war.
»Und? … Wer war der andere? War das dein Bruder?«, fragte der Totengräber leise, während er dem Knaben fast sanft über den Kopf strich. Instinktiv nickte Didrik, weil er hoffte, damit dieses bedrohliche Gegenüber, wenn nicht los zu werden, so doch zu besänftigen, obwohl er gar nichts verstand. Jetzt wollte es der Totengräber genau wissen und stellte ihm die nächste Frage: »Und wie heißt dein Bruder?«
»Otward«, schluchzte Didrik einsilbig und sah in der Hoffnung, endlich gehen zu können, flehentlich zum Totengräber hoch.
Aber der traurige Blick des Knaben löste in seinem Peiniger keine mitleidige Regung aus. Er hatte keinerlei Gefühle für Didrik, der für ihn nur ein lästiger Mitwisser war. Immerhin hatte der Junge soeben bestätigt, dass er einen größeren Bruder namens Otward hatte. Und er hatte bestätigt, dass sie gemeinsam auf dem Kirchhof gewesen waren.
»Aha: Otward! … Und?«, schnarrte er Didrik an. »Hat dein Bruder einen Schuh verloren?«
Nachdem das Kind mit den Fragen des Totengräbers nichts anzufangen wusste und nur noch nach Hause wollte, nickte er einfach stumm. Dadurch hoffte er, die Sache zu beenden. Er konnte nicht wissen, dass ihm dies auch gelingen würde … allerdings anders als gedacht.
Ruland Berging genügte, was er gehört hatte. Er war sich absolut sicher, den richtigen Knaben entführt zu haben.
Nur noch das Tropfen von Wasser und ein leichtes Echo waren zu hören, als der Totengräber die kühle Höhle verließ, um sich allein auf den Rückweg nach Staufen zu begeben. Als er von weitem das Färberhaus sah, änderte er seine Richtung, um einen großen Bogen darum zu machen. So bekam er nicht mit, dass Didriks Eltern und dessen Bruder bereits damit begonnen hatten, nach ihrem jüngsten Familienmitglied zu suchen.
Die
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