Die Pestspur
wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab und begann zu erzählen und sein Anliegen vorzutragen.
Jakob Bomberg hatte gerade sein Morgengebet beendet, den Tallith abgelegt und die Teffilin verstaut. Während er seine Hände nach einem vorgegebenen Ritus reinigte, bekam er den letzten Teil des Gespräches mit und mischte sich nun ein: »Wie Ihr wisst, sind wir gläubige Juden und haben nach einer langen Odyssee endlich eine neue Heimat gefunden. Hier in Staufen müssen wir zwar ganz besonders hart arbeiten, um uns ernähren zu können …«, Jakob faltete die Hände und drehte die Augen nach oben, als wenn er das, was er noch sagen wollte, bestätigt haben mochte, »aber hier sind wir glücklich und bestrebt, dass dies so bleibt.«
Der Blaufärber wusste schon, worauf Jakob abzielte und wollte gerade aufstehen um zu gehen, als ihn Judith mit sanfter Hand auf die Bank zurückdrückte.
»Deshalb«, fuhr Jakob fort, »seid mir nicht böse, wenn ich Euch eine Absage erteilen muss. Aber ich bitte um Verständnis dafür, dass wir uns geschworen haben, uns nicht in fremder Leute Angelegenheiten einzumischen. Egal, worum es geht! Sicher findet Ihr andere für einen Suchtrupp.«
Da strich ihm seine Frau über die Hand und sagte mit warmherziger Stimme: »Aber Jakob, wir haben doch auch Kinder. Außerdem sagt der Talmud , dass wir zum Wohlgefallen unseres Herrn ganz einfach helfen müssen. Überdies ist Herr Opser kein Fremder.«
Jakob knurrte etwas, drehte an seiner Locke und überlegte kurz, bevor er antwortete: »Ja, meine Liebe, du hast ja recht.« Zum Blaufärber gewandt sagte er: »Entschuldigt, ich war selbstsüchtig und habe nur an mich und meine Familie gedacht. Der Herr möge mir verzeihen. Selbstverständlich helfen wir Euch bei der Suche nach Eurem Sohn.«
Hannß Opser konnte es nicht fassen: Im ganzen Dorf hatte er niemanden gefunden, der ihn in seiner großen Not unterstützte – nicht einmal die eigenen Verwandten.
Judith deutete ihrem Mann mit einer unauffälligen Kopfbewegung, er solle sich für die Suche fertigmachen.
»Wartet«, sagte sie noch, bevor sie sich selbst die wetterfeste Gewandung überstreifte. Judith rief schnell ihre beiden Töchter herbei, um ihnen ein paar Anweisungen zu geben: »Sarah«, beschwor sie ihre älteste Tochter mit ernster Stimme und dazu passendem Blick, »du achtest auf Lea.«
Sarah nickte fast beleidigt und entgegnete: »Du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst.«
Judith Bomberg wusste, dass sie ihrer großen Tochter vertrauen konnte. Die Sechzehnjährige war besonnen und zuverlässig. Zudem war sie ein hübsches Mädchen mit langen schwarzen Haaren und großen rehbraunen Augen. Ihre Eltern hatten sie oft ermahnt: »Vergiss nie, dass wir Juden sind. Dräng dich niemals in den Vordergrund. Du musst vorsichtiger sein als die anderen Mädchen deines Alters.«
Sarah wusste um ihre jüdische Herkunft, was eine ernste Seite in ihr herausgebildet und heranreifen lassen hatte und weswegen sie sich gerne zurückzog, um zu lesen. Mittlerweile wusste sie viel über die schönen Künste. Wie gerne würde sie sich über Philosophie und Literatur unterhalten, wenn sie jemanden fände, der ihr ernsthaft zuhören würde und mit dem sie vielleicht sogar ihr Interesse teilen könnte. Aber außer ihr konnte in Staufen kein Mädchen ihres Alters richtig lesen. Und welcher Bursche ihres einfachen Standes hatte je eine Schreibfeder in der Hand gehalten? Sie war noch keine zwölf Jahre alt gewesen, als sie von ihrem Vater Bücher verschiedener Rennaissanceliteraten geschenkt bekommen hatte. Die Mutter hatte ihn dafür getadelt, sie sah es lieber, wenn ihre Tochter sich in hauswirtschaftlichen Fertigkeiten übte oder ihr bei der Hühnerzucht und auf dem Markt zur Hand ging. Dies tat Sarah auch, aber in jeder freien Minute steckte sie ihre hübsche Nase in ein Buch, momentan war es die Sonette des französischen Dichters Clement Marot. In diesem Alter! Aber ihr Vater war eben ein Buchdrucker, mit dem sie – im Gegensatz zur Mutter – die Begeisterung für Bücher teilte.
*
»Ich schlage vor, dass wir zuallererst zum Kastellan hochgehen, um ihm Bescheid zu sagen. Vielleicht kann er uns für die Suche ein paar Leute aus Immenstadt besorgen«, schlug Jakob vor, während er gerade so in die Luft hineinschnupperte, als hätte er eine Fährte aufgenommen. »Man kann den Winter schon riechen«, sagte er leise zu Judith.
»Nach dem, was gestern passiert ist, ist das mit den
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