Die Pestspur
keine Fische. Die Fische, die wir manchmal essen, habe ich immer auf dem Markt gekauft. Und die Buben, die in der Weißach schwarz fischen, können gut auf sich selbst achten – jedenfalls ist noch keiner von ihnen erwischt worden.«
»Aber die müssten doch eigentlich bestraft werden«, sinnierte Lea und drückte sich noch enger an ihre Mutter, die dies bestätigte.
»Ja! Im Prinzip hast du recht, Lea. Aber die Buben stehlen die Fische nicht des Spaßes wegen. Da uns allen der Steuereintreiber des Grafen so viel wegnimmt, dass kaum noch etwas zum Überleben übrig bleibt, sind die meisten Menschen dazu gezwungen, sich etwas einfallen zu lassen. Deswegen sind diejenigen, die vom Grafen Fische stehlen, in meinen Augen keine wirklichen Diebe … recht ist es trotzdem nicht«, fügte Judith noch schnell an.
Lea nickte zustimmend.
»Aber es gibt ja auch noch anderes, was wir essen dürfen«, lenkte Judith vom Thema Schwarzfischen ab. »Beispielsweise das Fleisch von Tieren, die gespaltene Klauen haben, Paarhufer sind und wiederkäuen«, sagte sie und erhob mahnend den Zeigefinger. »Fehlt allerdings eines der Merkmale, ist uns auch deren Genuss verboten. Da aber das meiste Geflügel als rein gilt, dürfen wir Hühner bedenkenlos verspeisen, ohne unseren Glauben zu verletzen. So, Lea, nun muss ich aber wieder etwas tun«, sagte sie und ging an den Herd, um das gerupfte Huhn aus eigener Zucht zu braten.
*
Judith hatte an ihrem kleinen Stand auf dem Markt immer viel Zulauf. Damit ihre Hühner keiner Unruhe ausgesetzt waren, blieben sie – bis auf ein paar lebende und ein paar fix und fertig gerupfte ›Musterexemplare‹ – so lange im gewohnten Gehege, bis sich ein Käufer dafür interessierte. Erst wenn der Preis ausgehandelt war und das Geschäft galt, lief Tochter Sarah zum Stall und holte die benötigte Anzahl. Dies konnte an einem guten Markttag zehnmal oder öfter sein. Sarah lief lieber immer wieder zum Stall zurück, um die Ware zu holen, als der Mutter zuzusehen, wie sie die geliebten Hühner am Kragen packte und einen Kopf kürzer machte. Judith entschuldigte sich jedes Mal bei Jahwe, dem Gott Israels. Sie wusste aber, dass gerade ihre auswärtigen Kunden ungern gackerndes und wild um sich schlagendes Federvieh mit nach Hause nehmen wollten.
Kapitel 11
Das Pferd des Totengräbers war ausgeruht und der Medicus nüchtern. So hatte er nicht lange gebraucht, um nach Genhofen zu gelangen. Dort war er schon auf die quer verlaufende Reichs- oder Salzstraße, die er nur ein kurzes Stück über die Länge des gefürchteten Hahnenschenkels hatte reiten müssen, gestoßen und nach Hopfen abgebogen. Er war froh, diesen gefährlichen Weg hinter sich zu haben.
»Ha! Gut, dass noch Herbst ist«, lachte er auf und sah beruhigt zum Himmel.
Er kannte diese Strecke bis zum Bodensee hinunter. Daher wusste er auch um deren Vor- und Nachteile, wie die Tatsache, dass der hohe Steig am Hahnschenkel gerade im Winter von den Reisenden noch mehr gefürchtet war als in den anderen Jahreszeiten. Da die Fuhrwerke hier große Mühe hatten, weiterzukommen und die großen Räder oftmals in Schnee oder Morast steckenblieben, wurde der steile Anstieg auch ›Rosseschinder‹ genannt. Hier fand sich immer wieder Diebsgesindel aus dem Bodenseeraum oder aus dem Oberschwäbischen ein, das Reisende überfiel und hängengebliebene Fuhrwerke ausraubte. Da änderte auch das Warnschild zu beiden Seiten des Anstieges nichts, das einen Galgenstrick mit Henkersknoten zeigte. Da es die einzige Verbindungsstraße war, die von Hall in Tirol aus über Oy und das Obere Joch nach Immenstadt und von dort über das Konstanzertal nach Simmerberg und Lindau an den Bodensee führte, war ihnen hier meist reiche Beute sicher. Der steile Hahnschenkel musste direkt von Genhofen aus angegangen und überwunden werden, bevor es Richtung Bodensee den Berg hinunter nach Simmerberg ging. Von dort aus gab es zwei Möglichkeiten, weiterzukommen: den inoffiziellen, mautfreien und dementsprechend ungeschützten Weg, der von Simmerberg nach Scheidegg führte, und die offizielle Geleitstraße. Sie führte über Weiler nach Scheidegg. Dort mussten alle Güter Richtung Bodensee von den Fuhrwerken auf Saumtiere umgeladen werden. Der Grund dafür war der hinter Scheidegg liegende ›Ruggsteig‹, ein ebenso steiler Teil des Weges wie der Hahnschenkel. Auf dieser Strecke wurde auch das Salz transportiert. Das ›weiße Gold‹ war ein wertvolles Handelsgut, das laut
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