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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Seelenheils willen in Mode gekommen waren.
    Seit Schwester Bonifatia ihre Stelle angetreten hatte, wurden auch Menschen mit anderen Erkrankungen oder Gebrechen als der Lepra und der Cholera versorgt. Da bei der beliebten Nonne der karitative Gedanke im Vordergrund stand, wurden vorbeikommende Bettler verköstigt und bei Notwendigkeit sogar medizinisch betreut. Dies hatte zur Folge, dass sich im Genhofener Siechenhaus seit geraumer Zeit vermehrt Gesindel aller Art einschlich, um für ein paar Tage ein Dach über dem Kopf zu haben und wenigstens einen Ranken Brot oder eine Suppe zu bekommen. Da sich diese Schmarotzer beim Vortäuschen von Krankheiten meist sehr geschickt anstellten, merkten die Schwester und ihre Helfer, die allesamt unentgeltlich arbeiteten und meist über wenig medizinische Vorkenntnisse verfügten, den Betrug entweder zu spät oder überhaupt nicht.

    *

    »Ehrwürdige Schwester! … Wacht auf!« Immer wieder hämmerte es an die Tür der Spitalleiterin.
    Es dauerte nicht lange, bis Musama, ihre getreueste Helferin, Erfolg hatte und Schwester Bonifatia schlaftrunken antwortete: »Trete ein, Musa, und erkläre mir, was das Spektakel soll.«
    Noch etwas schlaftrunken wollte die Spitalleiterin wissen, weshalb sie um mitternächtliche Zeit geweckt worden war.
    »Eine Mann! Vorr die Türre. Er … hat verletzt. Und …«
    »Schon gut. Beruhige dich, Musa! Ich komme ja schon«, antwortete Bonifatia, die Musama von dem Tag an, als sie deren Leben gerettet hatte, so nannte, weil ihr deren voller Name allzusehr an ›Muselman‹ erinnerte. Und dies gefiel der katholischen Schwester nicht, weil sie Musama vor allzu eifrigen Verfechtern des christlichen Glaubens schützen wollte und überdies in ihre Gemeinschaft katholischer Barmherzigkeit zu integrieren versuchte. Wenn Musa die hiesige Sprache etwas besser konnte und sich die Gelegenheit hierzu ergab, würde sie nach den Vorgaben des Heiligen Bruders Johannes getauft werden.
    Schwester Bonifatia stülpte sich schnell ihr schwarzes Habit über und trug ihrer dunkelhäutigen Helferin, die sie einst aus den Klauen eines geldgierigen Hurenwirtes gerettet hatte, auf, ihr den, wie sie es verstanden hatte, verletzten Mann zu zeigen, der scheinbar vor der Spitaltür lag. Zuvor aber schlug sie hastig ein Kreuz in Richtung ihres persönlichen kleinen Hausaltares, an dem eine furchtbar rußende und stark tropfende Talgkerze brannte.

    *

    Niemand wusste, wie man den schwerverletzten Fremden einschätzen musste, der zu mitternächtlicher Stunde heimlich vor die Spitaltür gelegt worden war. Erst als sie das unverkennbare Geschrei eines Frächters, der seine Pferde in gewohnt derber Fuhrmannsmanier den steilen Stich nach Buflings hoch zu treiben schien, hörten, wussten sie, dass ihn einer der Kutscher, die es vorzogen, den gefährlichen Hahnschenkel nur nachts zu überqueren, hierhergebracht haben musste.
    Schwester Bonifatia wusste um die Gefährlichkeit dieses Teils der Salzstraße.
    »Untertags rauben uns die wüsten Gesellen aus, abends saufen sie und nachts schnarchen sie so laut, dass sie nichts mehr hören«, hatte einer dieser Fuhrleute der Schwester erklärt und darauf geschworen, dass seine Art, besonders gefährliche Wegstücke nur nachts zu passieren, die sicherste sei. Eines Tages steckte sein Kopf auf dem höchsten Punkt des ›Rosseschinders‹, wie der Hahnschenkel auch genannt wurde, auf einer verrosteten Hellebarde. Er war mit seiner Reisetaktik wohl doch nicht so gut gefahren, wie er gedacht hatte. Aber Bonifatia konnte jetzt nicht lange Gedanken nachhängen.
    »Da der Mann schwer verletzt ist, wollte der unbekannte Kutscher augenscheinlich nicht mehr als nötig mit ihm zu tun haben. Aber er war wenigstens so barmherzig, den Verletzten hierher zu bringen, damit wir ihm helfen können«, flüsterte die Schwester, bevor sie Musa, den anderen beiden Helferinnen und Heini, einem im Geiste verwirrten jungen Burschen, der hier ebenfalls Aufnahme gefunden hatte, sagte, was zu tun sei: »Tragt ihn in den Behandlungsraum … Schnell!«
    »Aber …«, entfuhr es einer der Helferinnen, die ebenso dumm dreinschaute wie die anderen beiden.
    Außer Heini, der sich nichts dabei dachte, den Verletzten ins Haus zu tragen, hatten alle Angst davor, den Fremden anzupacken. Sie wussten nicht einmal, ob es sich bei dem Mann um einen Gottesfürchtigen oder um einen Haderlumpen handelte oder ob er möglicherweise sogar ein Strauchdieb oder – noch schlimmer – ein Mordbube

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