Die Pestspur
im rechten Moment eingemischt hatte. Die Menschen hier glauben jetzt, dass ich die große Pestilenz heilen kann, obwohl ich selbst dies kein einziges Mal behauptet, sondern sogar vehement bestritten habe, freute er sich. Die Gutgläubigen werden sich von ihrer Meinung nicht mehr abbringen lassen und mich bei den geringsten Anzeichen irgendeiner Krankheit – und sei es nur ein leichtes Unwohlsein – konsultieren. Es läuft gut. Wenn ich das dem Totengräber erzähle … Aber wo ist das Arschloch eigentlich?, fragte er sich im Stillen.
Kapitel 24
Im Entenpfuhl dümpelte schon seit ein paar Tagen eine Leiche im Ufergeäst. Durch den Aufenthalt im Wasser war der Verwesungsprozess schon weit fortgeschritten. Der Mund war geöffnet – gerade so, als wenn er noch etwas mitteilen wollte und der letzte Buchstabe steckengeblieben wäre. Die unbedeckten Teile seines Körpers waren über und über von Blutegeln übersät. Die offene Mundhöhle schien es den Frischwasser liebenden Gürtelwürmern ganz besonders angetan zu haben. Der Regen hatte sie nach oben gelockt, wo sie sofort ihr Opfer ausgemacht und ihre Saugschlünde gierig auf jede freie Hautfläche zu pressen begonnen hatten. Die Brut der Fliegen hatte ihr Übriges getan. Aufgrund des Unwetters war die Leiche hin- und hergebeutelt worden, bevor sie sich irgendwann im Ufergeäst verfangen hatte. Da jetzt wieder die Sonne strahlte, schienen es die Wunden mit dem Aufbrechen nicht erwarten zu können. Der Körper hatte bereits damit begonnen, sich mit Stickstoff aufzublähen, was die Wasserleiche bis zur Unkenntlichkeit entstellte.
*
Zum Weiher unterhalb des Schlosses führte nur ein schmaler Trampelpfad, der von der Schlossstraße abzweigte und – abgesehen von Jockel Mühlegg und den anderen Schwarzfischern – kaum benutzt wurde. Im Teich gab es etliche kleine Fischarten, weswegen der idyllisch gelegene Weiher für die Schwarzfischer interessant war. Wegen des Regenwetters war hier allerdings in den letzten Tagen kein einziger Mensch vorbeigekommen.
Schon vor vielen Jahren hatte Eginhard von Mutters Garten aus einen Weg zum Mauerloch gefunden und war – an der ganzen Südseite des Schlosses vorbei – steil bergab direkt zum Wasser geschlichen.
Da Lodewig mit seinem älteren Bruder schon öfter dagewesen war, kannte auch er den Schleichweg. Seit Eginhard in Bregenz weilte, war Lodewig öfter allein an diesen Ort gekommen, um an vergangene gemeinsame Zeiten zu denken. Nur Diederich war noch nie am Entenpfuhl gewesen. Seit dem Erlebnis auf dem Kirchhof hatte Lodewig Angst, seinen kleinen Bruder mit aus dem Schloss zu schleusen. Er war heute noch dankbar, dass es keine nennenswerte Strafe gegeben hatte, als er mit Diederich auf den Staufenberg gegangen war, um versonnen von seiner Kindheit Abschied zu nehmen.
Vom Schloss aus hatte man – wenn im Herbst die Blätter gefallen waren – einen guten Blick die einhundertsechzig Fuß hinunter zum Entenpfuhl. Da Blätter, Schlingpflanzen und Geäst einen Großteil des Toten bedeckten, konnte er aber von dort aus nicht als solches erkannt werden.
*
Im Schloss ging alles seinen gewohnten Gang: Der Kastellan hatte seiner Frau längst vom Ausgang der Anhörung berichtet und widmete sich seit seiner Rückkehr aus Immenstadt ganz den Gebäuden. Er begann damit, die Sturmschäden, die sich, Gott sei Dank, in Grenzen gehalten hatten, zu reparieren. Später würde er mit Ignaz und Lodewig aufs Dach steigen, um die geborstenen Ziegel auszuwechseln.
»Wenigstens ist das Vogteigebäude unversehrt geblieben«, sagte er zu seiner Frau, die ihre Hausarbeit verrichtete, während Diederich im Schlosshof umhertollte.
Rosalinde hatte ausnahmsweise ein paar Tage frei, um – wie sie ihre Herrin glauben machte – ihrer Schwester beizustehen, die in diesen Tagen mit dem siebten Kind niederkommen sollte. Schon seit Wochen verhielt sich die Magd auffällig und war augenscheinlich mit den Vorbereitungen für die große Reise in ihr Vorarlberger Heimatdorf Hittisau beschäftigt gewesen. In der ganzen Aufregung, nach etlichen Jahren zum ersten Mal aus Staufen hinaus und wieder in ihren Geburtsort zu kommen, hatte sie vergessen, dass sie Ignaz von der Herrin ausrichten sollte, er müsse schleunigst das Loch in der Gartenmauer und das kaputte Schloss im eisernen Türchen zum Wurzgarten reparieren. Obwohl man Ignaz nicht gerade als einfühlsam bezeichnen konnte, war ihm aufgefallen, dass mit der Magd etwas nicht stimmte. Er kam aber nicht
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