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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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verzogen, dachte er, als er das Propsteigebäude verließ und dort hochsah, von wo eigentlich bald die Strafe für sein schändliches Tun kommen müsste. Aber die Sonnenstrahlen wirkten stimmungsaufhellend und vertrieben die trüben Gedanken des Arztes, als er in Richtung Marktplatz hinunterging. Das Anwesen des Bauern lag zwar außerhalb des Ortsrandes, war aber dennoch schnell zu erreichen. Da der Hof ganz allein stand, konnte ihn der Medicus schon von weitem sehen. Als er näher kam, bemerkte er, dass sich auf dem Gelände mehrere Dutzend Menschen versammelt hatten. Als die Leute ihn erkannten, begannen sie erst aufgeregt zu schwatzen und auf ihn zu zeigen, dann zu jubeln und in die Hände zu klatschen. Der Arzt hatte Mühe, sich seinen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Ein nicht aufhören wollendes Schulterklopfen begleitete ihn.
    Ich habe doch nichts getrunken?, überlegte er irritiert.
    Als er es endlich bis zur Haustür geschafft hatte, blickte er noch einmal zurück, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumte.
    »Was ist denn in Euch gefahren?«, fragte er vorsichtig und bekam noch mehr Beifall.
    Schon beim Eintreten in den düsteren Hausflur kam ihm freudestrahlend der Bauer entgegen.
    »Danke, Medicus! Sie ist gesund. – Das haben wir nur Euch zu verdanken. Ihr habt die Pest vertrieben!«, sprudelte es aus dem überglücklichen Mann heraus.
    »Was ist geschehen?«, fragte der verdutzte Arzt mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen, mit dem er seine Unsicherheit zu verbergen suchte.
    »Ihr habt mein geliebtes Weib mit Eurem heilenden Sud gerettet! Kommt und seht selbst.«
    Buckelnd ging der Bauer voran. Als sie am oberen Ende der Treppe in die Schlafkammer kamen, traute der Medicus seinen Augen nicht: Die tot geglaubte Bäuerin saß aufrecht auf ihrem Krankenlager und lächelte ihn an. Sie streckte ihm eine Hand entgegen, um sich bei ihm zu bedanken.
    Der Medicus war verwirrt, setzte sich dann aber auf die Kante der Lagerstatt und ließ sich von der Bäuerin und von ihrem Mann alles berichten. So erfuhr er, dass es ihr – nachdem ihr Mann den Kräutersud bereitet und ihr zum Trinken gereicht hatte – zunächst viel schlechter ging und sie sich ständig hatte übergeben müssen.
    »Wir alle haben geglaubt, dass sie nun sterben würde und haben sogar nach dem Pfarrer geschickt, der allerdings nicht gekommen ist. Die erste Hälfte der Nacht war sehr schlimm, aber in der zweiten hat sie dann einen ruhigen Schlaf gefunden und ist davon erst vorgestern Morgen erwacht«, sagte der Bauer. Er sah den Arzt dankbar an und fügte hinzu: »… als wenn nichts gewesen wäre.«
    »Und was ist mit den vielen Menschen da draußen?«, fragte der Arzt und zog, während er auf die Antwort wartete, die linke Augenbraue hoch.
    »Die Leute wissen, dass Ihr mein Weib von der Pest geheilt habt.«
    »So ein Unsinn, ich habe doch überhaupt nicht nach ihr gesehen. Ich weiß zwar nicht genau, was ihr gefehlt hat, aber es kann unmöglich die Pest gewesen sein! … Ich werde sie jetzt gründlich untersuchen.«
    Nachdem dies geschehen war und er selbst festgestellt hatte, dass sie zwar noch geschwächt, aber weitestgehend gesund war, verabschiedete sich der Medicus. Als Lohn bekam er einen tönernen Schmalhalskrug mit ziseliertem Zinndeckel, gefüllt mit selbstgebranntem Obstschnaps, von dem er sogleich kostete. Und weil das köstliche Nass so gut schmeckte, nahm er hastig noch einen kräftigen Schluck aus dem Krug.
    Da er selbst gemerkt hatte, dass dies etwas peinlich war, lobte er das Präsent aus Verlegenheit heraus: »Das schöne Gefäß ist bestimmt mehr wert als der Inhalt!« Aber der Schnaps ist mir lieber, schmunzelte er zufrieden in sich hinein.
    »Mehr kann ich Euch nicht bezahlen«, flüsterte der Huberbauer, der sich deswegen vor dem Medicus schämte.
    »Das weiß ich«, sagte er und tätschelte das Gefäß. »Macht Euch darüber keine Gedanken: Dies hier ist mehr als genug. Ich habe Euch doch gesagt, dass ich Eurer Frau gerne zu Diensten bin. Ich helfe stets dort, wo die Not am größten ist«, schleimte der Arzt, während er sich den Enghalskrug unter den Arm klemmte und nach unten ging. Als er auf der Außentreppe stand, spürte er, dass mehrere Dutzend Augenpaare auf ihm ruhten. »Die Huberin hat keine Pest gehabt. Es war nur eine ordinäre Darmentzündung, die ich geheilt habe. Und jetzt geht nach Hause!«, rief er den Leuten zu.
    Während er zurück ging, sinnierte er darüber, wie sich doch der Zufall

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