Die Pestspur
nichts. Ihr Mann ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Ulrich wollte einfach seinen Frieden und sich nicht ständig Gedanken über nicht vorhandene Tote machen.
»Ja«, sagte er, »ich möchte die Sache auch nicht beschönigen. Wenn ich nur den geringsten Beweis oder wenigstens ein paar konkretere Anhaltspunkte hätte, würde ich vom Oberamtmann sofort eine Prüfungskommission einberufen lassen. Du weißt, wie ich zur Gerechtigkeit stehe.«
Da die kluge Frau merkte, dass sie heute wieder nicht weiter kommen würde, packte sie die Sache anders an: »Was ist eigentlich mit Lodewigs Schuhen? Wenn die nächste Zeit kein Markt stattfindet, kommt auch der Schuhflicker nicht ins Dorf.«
»Immer mit der Ruhe. Irgendwann wird das Marktverbot wieder aufgehoben, dann bekommst du den Musterschuh zurück und obendrein einen neuen für Lodewig. Es ist ja nicht wie bei armen Leuten. Er hat ja noch ein Paar«, scherzte der Kastellan, dem das Gespräch nach wie vor nicht so recht behagen mochte.
Aber Konstanze ließ aus Sorge um ihre Söhne nicht locker. »Sollten sich meine Befürchtungen als richtig erweisen, ist dann Otward, der ältere Sohn des Blaufärbers, nicht auch in Gefahr?«
»Jetzt hör aber auf! Nicht schon wieder diese Theorie. Du verrennst dich da in etwas.«
»Vielleicht führt der Totengräber ja wirklich eine Schurkerei im Schilde?«
Der Kastellan schnaufte tief durch und sagte in festem Ton: »Also gut, ich werde ein Auge darauf halten und ihn gegebenenfalls stellen! Bist du jetzt endlich zufrieden?«
»Ach, Liebster, ich meine es doch nur gut«, signalisierte Konstanze, das Gespräch friedlich beenden zu wollen, und gab ihm einen zarten Kuss auf die Stirn. »Machen wir uns wieder an die Arbeit.«
*
Da sich Lodewig sowieso nicht auf die ihm zugewiesene Arbeit konzentrieren konnte, weil er gestern zufällig Sarah begegnet war, meldete er sich bei seinem Vater mit einer Ausrede ab. Das hübsche Mädchen ging ihm zwar schon länger nicht mehr aus dem Kopf, gestern aber hatte sie ihm denselben total verdreht – und dies, obwohl sie überhaupt nichts getan hatte. Sie hatte nur gelächelt, sonst nichts. Und dieses Lächeln sah Lodewig immer noch vor sich. Er hatte das Gefühl, als würden die Lippen, von denen dieses zauberhafte Lächeln ausgegangen war, auf seine Lippen passen. Um es zu konservieren, wollte er jetzt allein sein und im Geiste die zarten Konturen ihres Gesichtes nachzeichnen. Er wollte ungestört an dieses liebliche Geschöpf denken und sich ausmalen, wie es wohl wäre, wenn sie zusammen sein würden. Lodewig wusste sehr wohl, dass dies ein kühner Gedanke war. Aber er ließ ihn ebenso wenig los wie dieses unbeschreibliche Lächeln. Da Sarahs Mieder eng geschnürt gewesen war und ihre Brüste nach oben gedrückt hatte, hatte sich in seinen Kopf sogar der Hauch eines unkeuschen Gedankens geschlichen.
Wie immer, wenn er Probleme hatte, aber auch, wenn er nachdenken musste, verkroch er sich in der Scheune. Dort oben im Heu hatte er seine Ruhe, bekam aber mit, wenn irgendetwas sein sollte und er benötigt wurde. So erwartungsvoll, als würde Sarah auf ihn warten, stieg er die Leiter hoch und zog sie nach oben, damit ihn niemand stören konnte. Heute wollte er absolut ungestört sein. Er legte sich auf den Rücken, steckte sich einen Strohhalm in den Mund und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, während er ein Bein über das andere schlug. Lodewig lauschte noch einen Moment, bevor er zu träumen begann. Die strahlenden Augen des Mädchens faszinierten ihn ebenso wie ihr seidenes langes Haar … und ihre makellose Figur. So sehr er auch versuchte, Sarahs Bild vor sich zu sehen, zerbrach es immer wieder wie teures Spiegelglas. Dennoch drängten die unkeuschen Gedanken sich unaufhaltsam in den Vordergrund.
»Sarah!«, stöhnte er, während er sich unter Zuhilfenahme seiner Hände im Geiste mit ihr vereinigte. Lodewig schämte sich vor sich selbst. Aber er war nun einmal kein Kind mehr und zu einem schneidigen jungen Mann herangereift, der Bedürfnisse hatte, die er bisher immer selbst befriedigen musste.
Er wollte sie endlich treffen. Am liebsten würde er sie sofort besuchen. Aber wie? Da er mitbekommen hatte, dass in der nächsten Zeit kein Markt stattfinden würde, hatte er auch kaum Möglichkeiten, offiziell aus dem Schloss herauszukommen. Und allein sollte er die Anlage ja nicht verlassen. Obwohl er alt genug war, um selbst entscheiden zu können, wann er ins Dorf hinunterging,
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