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Die Peststadt

Die Peststadt

Titel: Die Peststadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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Schnurrbart und betrachtete den Priester mit dem schmalen Gesicht schweigend.
    »Heute soll die Königin entführt und zu uns gebracht werden.«
    Der Ritter der Titanenstadt schaute in die Sterne und sah nach der Stellung des Mondes. Dann sagte er, das Gehörte mit finsterer Miene überdenkend: »Das ist nicht neu. Hast du Schwierigkeiten mit Aerinnen?«
    Er wusste, dass Aerinnen und Feithearn Statthalter der reichen Siedlung Nyrngor werden wollten. Feithearn, der jüngere Priester, war der Lieblingsschüler Drudins, ein Mann von bestechender Eleganz und tiefer Verschlagenheit, dazu ein mehr als begabter Bogenschütze. Aerinnen jedoch - Coerl wusste schon lange, dass ihn der sechzigjährige Intrigant bis aufs Blut hasste - konnte andere Vorteile für sich ins Feld führen. Wer letzten Endes diese Stadt beherrschen würde, interessierte ihn nur unwesentlich. Wenn dieses Ereignis eintrat, würde er längst an anderer Stelle kämpfen und siegen.
    »Nein. Nicht heute nacht«, sagte Feithearn und schlang den silberbestickten Mantel um seinen Hals. Der nahe Winter machte sich bemerkbar. »Wir haben Fürst-Richter Carbell fest in unserer Hand.«
    »Also... was willst du von mir?«
    »Uns wäre mehr geholfen, wenn du bei dem nächtlichen Sturm auf das schmale südliche Tor selbst dabei sein würdest. Die Städter kämpfen mit dem Mut einer in die Enge getriebenen Bestie.«
    Coerls tiefes, dröhnendes Lachen ließ die essenden Krieger am Feuer zusammenzucken.
    »Ich tät's nicht anders an ihrer Stelle, Caers Blut«, versicherte er ungerührt. »Keine Sorge, Priester. Ich werde dafür sorgen, dass die Stadt an dieser Stelle gestürmt wird.«
    »Wann wirst du stürmen lassen?«
    »Wir versuchen es ununterbrochen. In einer Stunde führe ich eine frische Abteilung mit Sturmleitern zum Tor. Ihr habt doch hoffentlich dafür gesorgt, dass von innen jemand die Riegel öffnet?«
    »Mit Duldamuurs Hilfe.« Es war des Priesters persönlicher Dämon. »Und Carbell wird jemanden bestochen haben, das Tor für uns zu öffnen.«
    »Dann steht unserem Erfolg in dieser Nacht nichts im Weg«, antwortete Coerl. »Allerdings habe ich ein gewisses Gefühl, das mir sagt: Es geht nicht alles so glatt, wie es die Caer- Priester geplant haben. Nyrngor wird mehr Tote fordern als jede andere Stadt, ehe es fällt.«
    »Auch dies weissagte mir Duldamuur«, pflichtete ihm Feithearn bei.
    »Dann geh hinüber zu den frischen Truppen und sage ihnen, dass wir an einer Stelle stürmen, die ich ihnen zeigen werde. Und du? Hilfst du uns mit deinen tödlichen Zauberpfeilen?«
    Der Spott war nicht zu überhören. Feithearn lächelte und warf sein schwarzes Haar in den Nacken. Er wusste, dass Coerl O'Marn ein aufrechter Mann war, der nur einen Herrn kannte, nämlich sich selbst.
    »Ich werde versuchen, einige unserer toten Krieger zu rächen«, versprach er. »Bis bald, O'Marn.«
    Coerl murmelte etwas Unverständliches und schlug den Eingang des Zeltes zurück. Er konnte sich ohne Mühe ausrechnen, dass die Caer vielleicht einen einzelnen Kampf gewannen in dieser Nacht, nicht aber die entscheidende Schlacht um Nyrngor. Und überdies hatte er ein böses Gefühl, wenn er an den ungebrochenen Willen der Verteidiger dachte.
    Die Stellen vor den Mauern waren übersät mit den steifen Körpern toter Caer.
    *
    Zuerst waren die Ratten verendet. Sie kamen auf ihrer Wanderschaft nach Nyrngor und trugen die Seuche mit sich. Pestflöhe stachen die Menschen, und die Erkrankten steckten die Gesunden an. Nach mehreren Tagen entstanden überall auf der Haut eitrige Geschwüre, die Stellen unter den Armen und in den Leisten schwollen an, und während die Menschen schwächer wurden, von bohrenden Schmerzen gepeinigt, brachen die Geschwüre auf und zeigten ihren brandigen Inhalt. Hitziges Fieber schwächte die Körper und rief Erscheinungen hervor, die man als dämonisch bezeichnen musste: wirre Träume, Angstzustände und innere Blutungen. Im letzten Stadium der Pest verließen die Sterbenden ihre Lager und krochen, solange sie sich noch bewegen konnten, in dunkle Winkel. Dort starben sie, weil ihr Herz zu schlagen aufhörte.
    Bei diesen drei Einwohnern von Nyrngor hatte es ebenso angefangen. Eines Tages zeigte sich ein eitriges Geschwür, das nicht heilen wollte. Jetzt lagen sie nebeneinander auf dem schwankenden Karren, der von einem dürren Klepper gezogen wurde. Die Glocke am Halsband des Zugtiers warnte jedermann. Die Städter sprangen zurück in die Häuser, sobald sie die

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