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Die Peststadt

Die Peststadt

Titel: Die Peststadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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Glocke hörten. Das Tier kannte den Weg und hielt vor der niedrigen Treppe an.
    Von rechts ertönten Hufschläge. Der Kampfwagen der Königin und zwei Reiter kamen heran und blieben ebenfalls stehen. Elivara sprang aus dem Wagenkorb, und die Gardisten folgten ihr dichtauf.
    Ein Greis und zwei alte Frauen halfen dem Arztschüler, die Todkranken vom Wagen zu heben und ins Haus zu schleppen.
    »Ich rühre sie nicht an!« knurrte Dhorkan und schüttelte den Kopf. »Und auch du, Königin. Ich kann dich immer wieder nur zur Vorsicht mahnen.«
    Sie sahen die Gestalten nicht, die in der Dunkelheit lauerten. Einige rußende Fackeln und Licht aus wenigen Fenstern erhellten vage den Platz. Nebel nässte die Steine unter ihren Sohlen. Der Anführer der Wache zog aus einer Satteltasche zwei Leintücher und tauchte sie in den großen Krug neben dem Eingang. Die heruntertropfende Flüssigkeit, die sauer und beißend roch, war zu Essig vergorener Wein.
    »Nimm diesen Lappen, Königin!« bat Dhorkan barsch. »Wenigstens das solltest du tun!«
    Die Tür knarrte. Aus dem Inneren des ersten Hauses kamen jammervolle Laute. Stöhnen, Wimmern, tappende Schritte und kurze, schrille Schreie erfüllten den Raum und schufen eine gespenstische Kulisse. Aber Elivara blieb hartnäckig. Sie band die Zipfel des feuchten Tuches in ihrem Nacken zusammen, nahm eine Fackel und folgte den Trägern.
    Dhorkan stieg hinter ihr die Stufen hinauf, stieß mit der Schulter die Tür auf und blieb neben dem Eingang stehen. Der zweite Wächter hielt die Zügel der Tiere. Vor den Augen der Ankömmlinge breitete sich eine Szenerie des Grauens aus.
    In Fensternischen standen Öllampen, auf Metallplatten ruhten Feuerschalen, auf die immer wieder Harz oder getrocknete Kräuter geworfen wurden. Die Schalen verbreiteten rote Helligkeit, Hitze und einen Geruch, der zum Teil den Hauch des Todes überdeckte, zum anderen aber betäubend wirkte. Mutig ging Elivara bis in die Mitte des ersten, großen Raumes und sah sich um.
    Auf einfachen Lagern, auf Decken und auf dem nackten Boden lagen ausgestreckt oder zusammengekrümmt die Kranken und Sterbenden: Kinder, Heranwachsende, Frauen und Männer in den besten Jahren und Greise. Die Pest packte alle ohne Unterschied.
    Als die Kranken erkannten, wer zwischen ihnen stand, richteten sie sich auf und hoben die Köpfe. Leise Schreie und Bitten ertönten, Hände und Arme reckten sich Elivara entgegen. Eine junge Frau, zum Skelett abgemagert, mit großen, fiebernden Augen, ging einige Schritte und brach neben einem Bett zusammen. Ein Helfer kam und hüllte sie in ein kühlendes Tuch.
    »Ich kann euch nicht helfen«, sagte die Königin erschüttert. »Ich kann nur versuchen, euch Mut zuzusprechen. Wir tun, was wir können, um die Belagerung zu beenden. Es gibt nicht viele Hände, die euch helfen können, alle kämpfen wir auf den Mauern und hinter den Toren gegen die Caer. Ich werde aus Schloss Fordmore Leintücher und Salben schicken und Decken. Ich weiß, dass schon einige von euch die Pestburg schwach, aber geheilt verlassen haben. Wenn ihr diese Nacht übersteht, können wir alle neue Hoffnung schöpfen.«
    Sie wusste, dass sie log, denn keines der Pestopfer war genesen. Aber gab es eine andere Möglichkeit, die Unglücklichen etwas zu trösten? Sie kannte keine. Sie hob das Tuch vor ihrem Gesicht und ging mit aufmunterndem Lächeln zwischen den Betten und Decken entlang. Scheu huschten die Helfer, die sich der Gefahr der Ansteckung freiwillig ausgesetzt hatten, hin und her.
    Eine Frau näherte sich bittend der Königin. »Du hast Tücher und Salbe versprochen, Königin?«
    »So ist es. Könnt ihr sie vom Palast holen?«
    »Es ist schwer. Es sind zu wenige Helfer und zu viele Kranke. Schon wieder haben sie welche gebracht.«
    »Ich schicke meine Dienerinnen mit allem, was ich entbehren kann. Auch die Vorräte von Fordmore schrumpfen.«
    »Danke, Königin. Sie werden alle sterben.«
    Die Frau senkte ihre Stimme. Sie sah erschöpft aus, und auch in ihren Kleidern nistete der Gestank, der hier jeden Winkel ausfüllte. Elivara war nahe daran, sich umzudrehen und aus der Pestburg hinauszurennen, aber sie schaffte es gerade noch, sich zu beherrschen.
    »Ich weiß«, flüsterte sie. »Aber was kann getan werden, um das Los der Armen zu lindern?«
    »Wir tun schon alles. Die Kräuter, die wir verbrennen, wirken betäubend und einschläfernd.«
    »Gut so. Ich schicke meine Dienerinnen, sobald es mir möglich ist«, versprach Elivara und

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