Die Pfade des Wanderers
immer heller.
»Meine Freunde«, rezitierte der Eulerich, »ich bin heute zu euch gekommen und bitte euch nur um eure Stimmen. Wenn ich gewählt werde, verspreche ich, euch lange und treu zu dienen. Ich will versuchen, der beste Gouverneur der Provinz Cascery zu werden, den es je gab. Ich werde die Steuern senken und die öffentlichen Ausgaben beschneiden. Ich werde die finanzielle Unterstützung der älteren Mitbürger erhöhen und un sere Verteidigungskraft stärken. Ich werde... ich werde...«
Der völlig verblüffte Jon-Tom lauschte der vertrauten Litanei endloser Versprechungen, während Sorbl weiterlas. Die Worte, die der Eulerich da rezitierte, hatte er nicht erwartet. Das Ganze hörte sich an wie die üblichen Wahlversprechen von Politikern. Dieselben alten Behauptungen, dieselben alten Versprechungen, in dieser Welt um kein Deut anders als in seiner. Einfach nur politische Schaumschlägerei, die wie immer nichts anderes war als ein Haufen...
Nichts.
Clodsahamp rief es herbei, beschwor es, brachte es an diesen Ort der Kraft. Er suchte das Nichts, das zwischen ihnen und dem Wanderer lag, damit er dessen Position bestimmen konnte. Das war es, was sich um sie schloß, was versuchte, sie mit der vollen Kraft seines ehrfurchtgebietenden Nichts-Selbst auszulöschen. Er konnte es spüren, ein trockener wattiger Geschmack im Mund. Es kroch über ihn wie eine lebende Decke, und es versuchte, ihm die Nasenlöcher zuzustopfen und sich einen Weg durch seine Kehle hinabzubahnen. Nur das matte Licht der Glühbirne und das kräftigere Licht der Papierrolle hielten es in Schach...
Es gab noch eine andere Möglichkeit: Er hatte noch immer seine Duar dabei. Einen Augenblick lang dachte er daran, etwas Hübsches und Fröhliches zu singen. Doch der gesunde Menschenverstand riet ihm, Schweigen zu bewahren. Wenn seine Bannsängerei von Nutzen hätte sein können, so hätte der Hexer dies schon erwähnt. Wenn er nun ungefragt ein Lied anstimmte, in diesem offensichtlich so entscheidenden Augenblick, würde das Nichts den Zauber des Hexers möglicherweise überwinden. Und auch wenn nichts sonst ihn umbrächte, Clodsahamp würde es bestimmt tun. Also stand er schweigend da und sah zu und versuchte etwas zu lernen.
Wie konnte nur nichts im Raum sein, wenn es dort doch ganz offensichtlich etwas gab? Da war Clodsahamps Stuhl und die Glühbirne an ihrem Stab und die Papierrolle, ganz zu schweigen von den drei Gefährten. Das machte ihm einige Augenblicke Sorge, bis Sorbls Geleier ihm die Antwort gab.
Es war eine typische Wahlkampfrede, so prahlerisch und so randvoll gestopft mit den üblichen Lügen und Falschheiten wie alle anderen. Es war nicht nur einfach nichts, es war sogar weniger als nichts und löschte dadurch die wenigen Etwasse aus, die den Keller bevölkerten.
Doch offensichtlich nicht alle. Mühsam starrte er in die Dunkelheit hinein. Dort die Glühbirne, dort Sorbl und seine Rolle, in der Mitte der Baumhöhle der schwebende Clodsahamp und sein am Boden stehender Stuhl - und plötzlich etwas mehr. Gestalten. Formlos, umrißarm und die Konturen verschiebend, doch ganz eindeutig vorhanden. Unscharfe Gräue, die langsam durch schwarzes Gelee schwamm. Sie hatten weniger Farbe, als daß sie um ein paar Nuancen weniger schwarz waren als ihre Umgebung. Anthrazitgespenster.
Während er sie anstarrte, verloren sie etwas von ihrer Nebelhaftigkeit. Holzkohlegraue Köpfe mit grauen Gesichtern. Graue Zungen, die erwartungsvoll über schwarze Zähne fuhren. Auch waren sie nicht stumm, denn sie wimmerten einander leise, fast unhörbar zu. Ob diese Geräusche zu Worten gehörten oder zu Musik, oder ob sie Schmerzensrufe waren, konnte er nicht feststellen. Sie waren die Nichtse, die die Dunkelheit bewohnten.
Sorbls Stimme wurde etwas lauter. Es strengte ihn an, aufgrund der Anspannung und der Furcht weiterzulesen, doch er brach nicht ab. Clodsahamp fuhr mit seiner eigenen Rezitation fort, in regelmäßigen Kadenzen hoben und senkten sich seine undeutbaren Worte.
Die Glühbirne hellte sich auf. Oder vielleicht war es die Luft, die sie umgab, welche ein bißchen weniger unterirdisch wurde. Der Keller war verschwunden. Die Wurzeln, das feuchte Erdreich, welches sie noch im Augenblick zuvor so beengend umhüllt hatte, waren verschwunden. Verzweifelt wünschte er sie wieder zurück.
Doch nun waren sie vom Nichts umringt.
Sie schienen in einem Universum ohne Grenzen, ohne Umrisse zu treiben. Da gab es keine warme Erde, die sie mit
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