Die Pfeiler der Macht
sehr ihm die Bank am Herzen lag. Er hatte all seine Hoffnungen auf sie gesetzt. »Was wirst du denn dann tun?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich gehe erst am Ende des Finanzjahrs - da bleibt mir noch ein Weilchen Zeit zum Nachdenken.«
»Wird die Bank unter Edward nicht kaputtgehen?«
»Ich fürchte, das könnte passieren.«
Maisie empfand großes Mitleid für Hugh. Soviel Unglück hatte er nicht verdient - und Edward bei weitem nicht soviel Glück. »Edward ist ja jetzt auch Lord Whitehaven. Ist dir klar, daß Bertie einen Erbanspruch auf den Titel hätte, wenn es mit rechten Dingen zugegangen und Ben Greenbourne geadelt worden wäre?«
»Ja.«
»Aber Augusta hat es verhindert.«
»Augusta?« wiederholte Hugh und runzelte ungläubig die Stirn.
»Ja. Sie steckte nämlich hinter dieser unappetitlichen Pressekampagne. Du erinnerst dich doch: ›Kann ein Jude Lord werden?‹«
»Ja, ich erinnere mich. Aber woher weißt du so genau, daß das Augusta war?«
»Der Prinz von Wales hat es uns gesagt.«
»So, so.« Hugh schüttelte den Kopf. »Augusta ist doch immer wieder für Überraschungen gut.«
»Wie dem auch sei - die arme Emily ist jetzt Lady Whitehaven.«
»Dann hat sie wenigstens etwas von der miserablen Ehe.«
»Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis«, sagte Maisie und senkte die Stimme, obwohl sich kein Unberufener in Hörnähe befand. »Emily wird Edward um die Annullierung der Ehe bitten.«
»Wie schön für sie! Wegen Nichtvollzugs, nehme ich an?«
»Genau. Es scheint dich nicht zu überraschen.«
»Das sieht man doch. Sie berühren sich nicht einmal, nie. So unbeholfen, wie die beiden miteinander umgehen, fällt es einem schwer, zu glauben, daß sie Mann und Frau sind.«
»Jahrelang hat sie ein von Grund auf verlogenes Leben geführt. Jetzt reicht es ihr.«
»Da wird sie's mit meiner Familie zu tun bekommen«, sagte Hugh.
»Mit Augusta, meinst du«, verbesserte ihn Maisie, der auffiel, daß Hugh genauso reagierte wie sie selbst. »Darüber ist sich Emily vollauf im klaren«, fuhr sie fort. »Aber wenn's drauf ankommt, kann sie ganz schön dickschädelig sein. Das kann ihr in diesem Fall nur zugute kommen.«
»Hat sie einen Freund?«
»Ja, aber sie ist noch nicht seine Geliebte. Ich weiß auch nicht, warum sie solche Skrupel hat. Edward geht doch jeden Abend ins Bordell.«
Hugh verzog die Lippen zu einem schmerzhaften, sehnsuchtsvollen Lächeln. »Du hast auch einmal große Skrupel gehabt.« Maisie wußte, daß er auf die Nacht in Kingsbridge Manor anspielte, als sie ihre Schlafzimmertür vor ihm verschlossen gehalten hatte. »Ich war mit einem guten Mann verheiratet, und wir beide, du und ich, standen kurz davor, ihn zu betrügen. Emilys Situation ist eine völlig andere.«
Hugh nickte. »Trotzdem kann ich es ihr irgendwie nachfühlen. Was den Ehebruch so schäbig macht, ist die Lügerei.« Maisie war anderer Meinung. »Die Menschen sollten ihr Glück beim Schopfe packen! Man lebt nur einmal.«
»Dabei kann ihnen aber etwas weit Wertvolleres abhanden kommen - ihre Rechtschaffenheit.«
»Das ist mir zu abstrakt«, erwiderte Maisie abschätzig. »Damals bei Kingo erging es mir nicht anders. Ich wäre, wenn du es mir erlaubt hättest, ohne weiteres dazu bereit gewesen, Sollys Vertrauen zu mißbrauchen. Aber im Laufe der Jahre ist meine Überzeugung konkreter geworden. Heute bedeutet mir Rechtschaffenheit mehr als alles andere.«
»Aber was verstehst du darunter?«
»Die Wahrheit zu sagen, Versprechen einzuhalten und die Verantwortung für persönliche Fehler zu übernehmen, sowohl im Beruf als auch im täglichen Leben. Zu sein, was man zu sein behauptet, zu tun, was man zu tun ankündigt - auch das gehört dazu. Ein Bankier kann es sich am allerwenigsten leisten, die Unwahrheit zu sagen. Und wenn ihm schon seine eigene Frau nicht vertrauen kann - wer könnte es dann überhaupt?«
Maisie begann sich über Hugh zu ärgern, und sie fragte sich, warum. Eine Weile saß sie still zurückgelehnt auf ihrem Sitz und starrte hinaus. Vor dem Zugfenster zogen in der langsam hereinbrechenden Abenddämmerung die ersten Vororte Londons vorbei. Was bleibt ihm denn noch, wenn er die Bank verläßt? dachte sie. Er liebt seine Frau nicht, seine Frau mag die Kinder nicht ... Warum sollte er nicht endlich sein Glück bei mir finden dürfen, in den Armen der Frau, die er schon immer geliebt hat? Am Bahnhof Paddington begleitete er sie zum Droschkenstand und half ihr in die Kutsche. Als sie sich
Weitere Kostenlose Bücher