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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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einer Fabrik im East End - die tägliche Fron Tausender von Frauen in diesem Land - würde mit Sicherheit die Kräfte dieser Herren übersteigen ...
     
    Erneut wurde Maisie unterbrochen. Es klopfte an die Tür.
    »Herein!« rief sie.
    Die Frau, die das Büro betrat, war weder arm noch schwanger. Sie hatte große blaue Augen und ein mädchenhaftes Gesicht, und sie trug teure Kleidung. Es war Emily, Edward Pilasters Frau. Maisie stand auf und gab ihr einen Begrüßungskuß. Emily Pilaster gehörte zum Förderkreis des Krankenhauses, in dem sich Frauen überraschend unterschiedlicher Herkunft zusammengefunden hatten - so zählte unter anderem Maisies alte Freundin April Tilsley, inzwischen Besitzerin dreier Bordelle in London, zu den Mitgliedern. Sie spendeten gebrauchte Kleider, alte Möbel, überschüssige Lebensmittel aus ihren Küchen und zahlreiche unentbehrliche Kleinigkeiten wie Papier und Tinte. Manchmal gelang es ihnen auch, Frauen, die das Wochenbett verlassen hatten, eine Anstellung zu vermitteln. Vor allem aber gaben sie Maisie und Rachel moralische Unterstützung, wenn die konservative Männerwelt mal wieder über die beiden herfiel, weil es im Krankenhaus keine obligatorischen Gebete, frommen Gesänge und Bußpredigten über die Sündhaftigkeit der ledigen Mutterschaft gab.
    Maisie fühlte sich mitverantwortlich dafür, daß Emilys Versuch, in der »Nacht der Masken« ihren eigenen Ehemann zu verführen, so restlos mißglückt war. Seit jenem Tag führten Emily und der abscheuliche Edward diskret das getrennte Leben wohlhabender Eheleute, die einander auf den Tod nicht ausstehen können. An diesem Vormittag strahlte Emily über das ganze Gesicht und wirkte sehr aufgeregt. Kaum hatte sie sich gesetzt, da stand sie auch schon wieder auf und kontrollierte, ob die Tür auch wirklich fest geschlossen war. Dann sagte sie zu Maisie: »Ich habe mich verliebt.« Maisie zweifelte, ob das wirklich eine gute Nachricht war, antwortete aber dennoch: »Wie schön! In wen denn?«
    »In Robert Charlesworth. Er ist Dichter und schreibt Artikel über italienische Kunst. Er lebt überwiegend in Florenz, hat aber in unserem Dorf ein kleines Häuschen gemietet. England gefällt ihm im September.«
    In Maisies Ohren klang das, als verfüge dieser Robert Charlesworth über genügend Mittel, um sich ohne echte Arbeit ein schönes Leben leisten zu können. »Hört sich ja wahnsinnig romantisch an«, sagte sie.
    »Ach, er ist ja so gefühlvoll! Er würde dir sicher sofort gefallen.«
    »O ja, sicher«, sagte Maisie, obwohl sie in Wirklichkeit gefühlvolle Poeten mit Privatvermögen nicht ausstehen konnte. Dennoch freute sie sich für Emily, die soviel unverdientes Pech in ihrem Leben gehabt hatte. »Bist du seine Geliebte?« Emily errötete. »Ach, Maisie, mußt du denn immer gleich die peinlichsten Fragen stellen? Nein, natürlich nicht ...« Nach den Ereignissen in der Nacht der Masken fand Maisie es erstaunlich, daß es überhaupt noch etwas gab, worüber Emily erröten konnte. Die Erfahrung hatte sie allerdings gelehrt, daß sie selbst, Maisie, in dieser Beziehung etwas eigenartig war. Die meisten Frauen waren imstande, vor praktisch allem, was sie nicht sehen wollten, die Augen zu verschließen und so zu tun, als existiere es überhaupt nicht. Maisie hingegen fehlte jede Geduld zu höflicher Schönrederei und taktvollen Phrasen. Wenn sie etwas wissen wollte, fragte sie ohne Umschweife. »Na ja, seine Frau kannst du ja wohl nicht werden, oder?«
    »Deshalb bin ich hier«, sagte Emily. »Gibt es die Möglichkeit, eine Ehe annullieren zu lassen?«
    »Du meine Güte!« Nach kurzem Überlegen fügte Maisie hinzu:
    »Du meinst aufgrund der Tatsache, daß die Ehe nie vollzogen wurde?«
    »Ja.«
    Maisie nickte. »Ja, diese Möglichkeit besteht.« Daß Emily juristischen Rat bei ihr suchte, war nicht überraschend. Rechtsanwältinnen gab es keine, und ein Mann wäre vermutlich sofort zu Edward gerannt und hätte alles verdorben. Maisie war eine aktive Frauenrechtlerin und hatte sich eingehend mit dem bestehenden Ehe- und Scheidungsrecht beschäftigt. »Du müßtest dich an die für Familien- und Scheidungsangelegenheiten zuständigen Kammern des High Court wenden«, erläuterte sie. »Und du müßtest hieb- und stichfest nachweisen, daß Edward immer und unter allen Umständen impotent ist, also nicht nur bei dir.« Emily machte ein langes Gesicht. »Oje«, sagte sie. »Das geht nicht. Wir wissen ja, was mit ihm los

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