Die Pfeiler der Macht
setzte sich vor das verglühende Kaminfeuer. Hatte Micky zwei seiner Freunde auf dem Gewissen - Peter Middleton und Solly Greenbourne? Und wenn ja - wie sollte er, Hugh Pilaster, sich nun verhalten?
Am nächsten Tag quälte er sich noch immer mit dieser Frage herum, als ein Ereignis eintrat, das ihm die Antwort lieferte. Er verbrachte den Vormittag an seinem Schreibtisch im Direktionszimmer. Einst hatte er sich danach gesehnt, hier, im stillen, luxuriösen Zentrum der Macht, zu sitzen, um unter den Augen der Porträts seiner Vorfahren über Millionensummen zu entscheiden.
Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt. Und in Kürze würde er all das aufgeben.
Er brachte seine Angelegenheiten in Ordnung und führte begonnene Projekte zu Ende, ließ sich aber auf keine neuen ein. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu Micky und dem armen Solly zurück. Daß ein gemeiner Kriecher und Schmarotzer wie Micky Miranda einen so guten Menschen wie Solly Greenbourne so mir nichts, dir nichts umbringen konnte, trieb ihn schier zum Wahnsinn. Am liebsten hätte er Micky mit bloßen Händen erwürgt. Aber er konnte ihn nicht umbringen; ja, es war sogar sinnlos, mit seinem Wissen zur Polizei zu gehen, verfügte er doch über keinerlei handfeste Beweise.
Sein Sekretär, Jonas Mulberry, machte den ganzen Vormittag über einen sehr aufgeregten Eindruck. Vier- oder fünfmal war er unter verschiedenen Vorwänden ins Direktionszimmer gekommen, ohne indessen zu sagen, was ihn so bewegte. Schließlich dämmerte es Hugh, daß Mulberry ihm etwas anvertrauen wollte, was nicht für die Ohren der anderen Teilhaber bestimmt war. Ein paar Minuten vor der Mittagspause ging Hugh durch den Korridor zum Telefonzimmer. Vor zwei Jahren hatten sie den Apparat installieren lassen. Da inzwischen alle Teilhaber mehrmals täglich ans Telefon gerufen wurden, herrschte längst Einigkeit darüber, daß es besser gewesen wäre, die Leitung gleich ins Direktionszimmer zu legen. Unterwegs begegnete ihm Mulberry. Er hielt ihn an und fragte: »Haben Sie etwas auf dem Herzen?«
»Jawohl, Mr. Hugh«, sagte Mulberry sichtlich erleichtert und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Ich sah zufällig, wie Simon Oliver, Mr. Edwards Sekretär, diverse Schriftstücke aufsetzte.«
»Kommen Sie einen Augenblick mit rein!« Hugh betrat das Telefonzimmer und schloß die Tür hinter ihnen.
»Was waren das für Schriftstücke?«
»Ein detaillierter Vorschlag für eine neue Anleihe des Staates Cordoba - über zwei Millionen Pfund!«
»O nein!« sagte Hugh. »Die Bank braucht weniger Engagement in südamerikanischen Schuldverschreibungen, nicht mehr ...«
»Ich wußte, daß Sie so denken würden.«
»Wofür dient das Geld speziell?«
»Für den Bau eines neuen Hafens in der Provinz Santamaria.«
»Wieder so ein Projekt von Senor Miranda?«
»Ja. Ich fürchte, daß er und sein Vetter Simon Oliver großen Einfluß auf Mr. Edward haben.«
»In Ordnung, Mulberry. Vielen Dank, daß Sie mich informiert haben. Ich werde sehen, was sich tun läßt.«
Hugh vergaß das Telefonat, das er hatte führen wollen, und kehrte ins Direktionszimmer zurück. Ob die Teilhaber Edward das erlauben? fragte er sich. Einiges spricht dafür. Was Samuel und mich betrifft, so ist unser Einfluß nicht mehr sonderlich groß, da wir in Kürze aus der Bank ausscheiden. William teilt meine Befürchtungen nicht, daß es in Südamerika zum großen Krach kommen kann. Major Hartshorn und Sir Harry tun, was man ihnen sagt. Und Edward ist jetzt Seniorpartner ...
Was sollte er tun? Hugh war nach wie vor in der Bank beschäftigt und an ihren Profiten beteiligt. Aus der Verantwortung stehlen konnte er sich noch nicht.
Das Problem lag darin, daß Edward zu keiner vernünftigen Entscheidung fähig war. Mulberry hatte recht - er stand vollkommen unter dem Einfluß von Micky Miranda.
Gab es eine Möglichkeit, diesen Einfluß zu verringern? Er konnte Edward sagen, daß Micky ein Mörder war. Aber Edward würde ihm nicht glauben ... Dennoch mußte zumindest der Versuch gemacht werden. Er hatte nichts zu verlieren und fühlte sich nach der furchtbaren Erkenntnis der vergangenen Nacht ohnehin bemüßigt, in dieser Angelegenheit etwas zu unternehmen. Edward war bereits zum Essen gegangen. Hugh entschied sich spontan, ihm zu folgen.
Wo Edward war, konnte er sich denken. Er nahm eine Droschke, ließ sich zum Cowes Club fahren und überlegte sich unterwegs die passenden Worte; sie mußten Edward überzeugen und durften
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