Die Pfeiler der Macht
liebenswürdigen Solomon Greenbourne. Ihm reinen Wein einzuschenken hätte ihm nur unnötigen Kummer bereitet.
Der junge Mann hieß Hubert, und daß er Bertie gerufen wurde, war ein heimliches Kompliment an den Prinzen von Wales, der ebenfalls so genannt wurde. Maisie hatte keinen Kontakt mehr zu dem Thronfolger. Sie war längst nicht mehr die Millionärsgattin und Gastgeberin für die feine Gesellschaft, sondern nur noch eine einfache Witwe, die in einem bescheidenen Vorstadthäuschen im Süden Londons lebte. Solche Frauen gehörten nicht zum Freundeskreis des Thronfolgers.
Sie hatte den Jungen Hubert genannt, weil der Name so ähnlich klang wie Hugh. Doch schon bald war ihr die Ähnlichkeit peinlich geworden, und darin lag ein weiterer Grund für den Rufnamen Bertie. Ihrem Sohn hatte sie erzählt, Hugh sei der beste Freund seines Vaters gewesen. Glücklicherweise sahen die beiden einander kaum ähnlich; mit seinem weichen dunklen Haar und den melancholischen braunen Augen kam Bertie vielmehr ganz auf Maisies Vater. Ihr Sohn war groß und stark, ein guter Sportler und ein fleißiger Schüler. Maisie war ungeheuer stolz auf ihn. Auf den gemeinsamen Fahrten nach Windfield behandelte Hugh Maisie mit ausgesuchter Höflichkeit. Er spielte seine Rolle als guter Freund der Familie, doch Maisies feines Gespür verriet ihr, daß diese bittersüße Situation ihn ebenso schmerzlich berührte wie sie selbst.
Von Rachels Vater wußte sie, daß Hugh in der Finanzwelt als eine Art Wunderkind galt. Wenn er über die Bank sprach, leuchteten seine Augen auf, und er wußte fesselnd und amüsant zu erzählen. Es war unverkennbar, daß er seinen anspruchsvollen Beruf liebte und Erfüllung darin fand. Sobald ihre Konversation jedoch den persönlichen Bereich berührte, schlug seine Stimmung um, er wurde mißmutig und einsilbig. Er sprach nur ungern über seine Familie und die Kreise, in denen er privat verkehrte, und seine Frau erwähnte er am liebsten überhaupt nicht. Allenfalls noch erzählte er von seinen drei Söhnen, an denen er sehr hing, doch selbst da schwang ein depressiver Unterton mit. Ohne daß er es je ausgesprochen hätte, spürte Maisie, daß Nora ihren Kindern keine gute Mutter war und daß Hugh sich im Laufe der Jahre mit einer kalten, sexuell unbefriedigenden Ehe abgefunden hatte. Er trug einen silbergrauen Tweedanzug, der gut zu seinem mit Silbersträhnen durchzogenen Haar paßte, und die hellblaue Krawatte korrespondierte mit der Farbe seiner Augen. Er war fülliger geworden, doch hin und wieder blitzte das spitzbübische Grinsen auf, das ihr so an ihm gefiel. Sie bildeten ein attraktives Paar, ohne ein Paar zu sein, und genau daher rührte Maisies Traurigkeit: Wir sehen aus wie ein Paar, benehmen uns wie ein Paar -aber wir sind kein Paar. Sie nahm seinen Arm, als sie das Schulgebäude betraten, und dachte bei sich: Ich würde meine Seele hergeben, wenn ich dafür Tag für Tag an seiner Seite leben dürfte. Sie halfen Bertie beim Auspacken des Koffers, und er goß ihnen auf seinem Zimmer einen Tee auf. Hugh hatte einen Kuchen mitgebracht, der so groß war, daß Berties Klasse wahrscheinlich eine ganze Woche daran zu kauen hatte. »Mein Sohn Toby wird im nächsten Jahr auch hier eingeschult«, sagte Hugh. »Könntest du mir einen Gefallen tun und ihn ein bißchen im Auge behalten?«
»Gerne«, sagte Bertie. »Ich pass' auf, daß er nicht zum Schwimmen ins Bischofswäldchen geht.« Als Maisie ihn stirnrunzelnd ansah, fügte er schnell hinzu: »Tut mir leid, das war ein schlechter Scherz.«
»Über die Sache von damals wird wohl immer noch geredet, was?« fragte Hugh.
»Jedes Jahr erzählt der Direktor von neuem die Geschichte, wie
Peter Middleton ertrank. Er will uns damit Angst einjagen. Aber trotzdem gehen alle zum Schwimmen.«
Nach dem Tee verabschiedeten sie sich von Bertie. Wie immer bei dieser Gelegenheit kämpfte Maisie mit den Tränen, weil sie ihren kleinen Jungen - der ihr längst über den Kopf gewachsen war - allein zurücklassen mußte. Dann gingen sie zu Fuß in die Stadt und fuhren mit dem nächsten Zug zurück nach London. Sie hatten ein Abteil der ersten Klasse für sich.
Während sie durch das Fenster beobachteten, wie die Landschaft vorüberflog, sagte Hugh: »Edward wird in Kürze Seniorpartner.«
Maisie glaubte, sich verhört zu haben. »Ich dachte, dafür ist er nicht intelligent genug!«
»Ist er auch nicht. Ich scheide zum Jahresende aus der Bank aus.«
»O Hugh!« Maisie wußte, wie
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