Die Pfeiler der Macht
mit Kofferschlüsseln hervor, wählte einen davon aus und reichte ihn dem Inspektor.
Dieser öffnete den Koffer. Er war mit Schuhsäckchen gefüllt. Augusta deutete auf einen bestimmten. Der Inspektor griff hinein und zog eine Zigarrenkiste aus hellem Holz hervor. Er klappte den Deckel auf. Eine Anzahl kleiner, sorgfältig in Papier gewickelter Gegenstände kam zum Vorschein. Der Inspektor griff einen heraus und wickelte ihn aus. Es war eine kleine goldene Dose, die mit Diamantsplittern in Form einer Eidechse ausgelegt war. Hugh seufzte erleichtert.
Der Inspektor sah ihn an. »Wissen Sie, um wie viele Dosen es sich handeln soll, Sir?«
Alle Familienmitglieder wußten das.
»Fünfundsechzig«, sagte Hugh. »Eine Dose für jedes Lebensjahr von Onkel Joseph.«
»Möchten Sie nachzählen?«
»Sie sind vollzählig«, sagte Augusta.
Hugh zählte trotzdem nach. Es waren fünfundsechzig. Das freudige Gefühl des Sieges überkam ihn.
Der Inspektor nahm die Zigarrenkiste an sich und gab sie einem anderen Polizisten. »Wenn Sie nun bitte Constable Neville auf die Polizeiwache begleiten würden ... Er stellt Ihnen eine offizielle Empfangsbestätigung aus.«
»Schicken Sie sie an die Bank«, sagte sie. »Darf ich jetzt gehen?« Hugh wußte nicht recht, was er davon halten sollte. Augusta war
enttäuscht, aber nicht gebrochen. Er hatte das Gefühl, daß es noch etwas anderes gab, was sie belastete, etwas, woran ihr weit mehr lag als an den Schnupftabaksdosen. Und wo war Micky Miranda?
Der Inspektor verneigte sich, und Augusta passierte die Sperre. Die drei schwerbeladenen Gepäckträger folgten ihr. »Vielen Dank, Inspektor«, sagte Hugh. »Es tut mir nur leid, daß Sie nicht auch Micky Miranda geschnappt haben.«
»Wir werden ihn schon erwischen, Sir. Er kommt nicht an Bord der Aztec - es sei denn, er hat inzwischen fliegen gelernt.« Der Gepäckwagenschaffner kam auf sie zu. Er schob einen Rollstuhl vor sich her. Als er Hugh und den Inspektor erreichte, blieb er stehen und fragte: »Können Sie mir vielleicht sagen, was ich jetzt mit diesem Rollstuhl anfangen soll?«
»Um was geht's denn?« fragte der Inspektor geduldig. »Diese Dame mit dem vielen Gepäck und dem Vogel am Hut ...«
»Lady Whitehaven, ja.«
»In Waterloo war sie mit einem älteren Herrn zusammen. Sie hat ihn in ein Abteil der Ersten Klasse gesetzt und mich gebeten, den Rollstuhl im Gepäckwagen unterzubringen. Ist mir ein Vergnügen, sage ich. Dann steigt sie in Southampton aus und tut so, als hätte sie keine Ahnung, wovon ich rede. ›Sie müssen mich mit jemand anders verwechselt haben‹, sagte sie. ›Kaum‹, sage ich, ›so 'n Hut wie den gibt's nur einmal.‹«
»Das stimmt«, warf Hugh ein. »Der Droschkenkutscher in London sagte, daß sie von einem Mann im Rollstuhl begleitet wurde.»
»Na also!« sagte der Gepäckwagenschaffner triumphierend.
Der Inspektor verlor unvermittelt seine onkelhafte Jovialität und wandte sich erregt an Hugh. »Haben Sie den alten Mann die Sperre passieren sehen?«
»Nein. Dabei habe ich mir jeden Fahrgast genau angesehen. Tante Augusta war die letzte.« Dann endlich fiel der Groschen. »Mein Gott! Glauben Sie, das war Micky Miranda in Verkleidung?«
»Jawohl. Aber wo ist er jetzt? Kann er den Zug an einem früheren Bahnhof verlassen haben?«
»Nein«, sagte der Schaffner. »Es ist doch ein Expreßzug, nonstop von Waterloo nach Southampton.«
»Dann durchsuchen wir sofort den Zug. Er muß noch drin sein.«
Das war jedoch nicht der Fall.
Die Aztec war mit bunten Laternen und Papiergirlanden geschmückt. Die Weihnachtsparty war in vollem Gang, als Augusta an Bord ging: Auf dem Hauptdeck spielte eine Musikkapelle, Passagiere in Festtagskleidung tranken Champagner und tanzten mit Freunden, die zu ihrer Verabschiedung gekommen waren. Ein Steward führte Augusta die große Treppe hinauf und geleitete sie zu einer Kabine auf dem Oberdeck. In der Annahme, dank der Schnupftabaksdosen in ihrem Koffer aller Geldsorgen ledig zu sein, hatte Augusta mit ihrer gesamten Barschaft die beste noch verfügbare Kabine gebucht. Die Kabine, deren Tür direkt aufs Oberdeck hinausführte, war mit einem breiten Bett, einem Waschbecken in normaler Größe, bequemen Sesseln und elektrischem Licht ausgestattet. Auf der Frisierkommode standen Blumen, auf dem Nachtkästchen neben dem Bett lag eine Schachtel mit Schokoladenkonfekt, und auf dem niedrigen Tisch ruhte eine Flasche Champagner in einem Eiskübel. Augusta wollte dem
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