Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
mit ihm... nun ja, eben bis zum Äußersten zu gehen. Sonst wäre sie heute abend nicht in die Argyll Rooms gekommen. Fast immer, wenn Hugh ein Mädchen kennenlernte, hing er Träumen von der geschlechtlichen Liebe nach; wohl aber schämte er sich der Häufigkeit dieser sexuellen Phantasien. Ausgelebt werden durften sie normalerweise nur nach längerer Werbung, nach Verlobung und Eheschließung. Doch Maisie wäre möglicherweise schon heute nacht dazu bereit!
    Erneut trafen sich ihre Blicke, und wieder fühlte Hugh sich ertappt. Es war das gleiche peinliche Gefühl, das ihn manchmal in Rachel Bodwins Gegenwart überkam: Sie kennt meine Gedanken, dachte er und suchte verzweifelt nach einem unverfänglichen Gesprächsthema.
    »Leben Sie schon immer in London, Miss Robinson?« platzte er schließlich heraus.
    »Nein, erst seit drei Tagen«, antwortete sie.
    Eine banale Konversation, dachte er, aber wenigstens überhaupt eine. »Ach was? Erst seit so kurzer Zeit? Wo waren Sie denn vorher?«
    »Auf Reisen«, erwiderte Maisie, wandte sich ab und sagte etwas zu Solly.
    »Aha«, stammelte Hugh. Gespräch beendet, dachte er enttäuscht. Sie benimmt sich fast so, als hätte sie etwas gegen mich ...
    April Tilsley schien Mitleid mit ihm zu haben. »Maisie arbeitet seit vier Jahren bei einem Zirkus«, erklärte sie. »Du meine Güte! Was tut sie denn da?«
    Maisie antwortete selber: »Reiten ohne Sattel. Auf trabenden Pferden stehen. Von einem Pferderücken auf den anderen springen und solche Sachen.«
    »Im Trikot natürlich«, fügte April hinzu.
    Maisie im Trikot - die Vorstellung nährte das Feuer. Hugh schlug die Beine übereinander und sagte: »Wie sind Sie zu dieser Arbeit gekommen?«
    Maisie zögerte einen Augenblick. Dann drehte sie sich auf ihrem Stuhl um und sah Hugh in die Augen. In ihrem Blick lag ein gefährlicher Glanz. »Das will ich Ihnen sagen«, begann sie. »Mein Vater arbeitete für Tobias Pilaster & Co. Ihr Vater betrog ihn um einen Wochenlohn. Meine Mutter war sehr krank. Ohne das Geld stand ich vor der Wahl: Entweder ich hungere - oder Mutter stirbt. Da lief ich von zu Hause fort. Ich war damals elf.«
    Hugh spürte, wie ihm das Blut zu Kopf schoß. »Ich glaube nicht, daß mein Vater jemals irgendeinen Menschen betrogen hat«, sagte er. »Außerdem dürften Sie mit elf Jahren noch kaum imstande gewesen sein zu verstehen, um was es damals ging.«
    »Was Hunger und Kälte bedeuten, verstand ich sehr wohl.«
    »Vielleicht war Ihr Vater schuld.« Hugh ließ nicht locker, obwohl er wußte, daß es unklug war. »Man soll eben keine Kinder in die Welt setzen, wenn man sie nicht ernähren kann.«
    »Er konnte sie ernähren!« fauchte Maisie. »Er arbeitete wie ein Sklave - und dann kamt ihr und stahlt ihm sein Geld!«
    »Mein Vater hat Bankrott gemacht, aber er war kein Dieb!«
    »Für den, der auf der Verliererseite steht, ist das dasselbe.«
    »Nein, es ist nicht dasselbe. Und Sie sind ebenso dumm wie unverschämt, wenn Sie das behaupten!«
    Die anderen waren offensichtlich der Meinung, daß Hugh mit dieser Bemerkung zu weit gegangen war. Mehrere von ihnen fingen gleichzeitig an zu sprechen. Tonio sagte: »Streiten wir doch nicht über Dinge, die so lange zurückliegen.«
    Hugh wußte, daß es an der Zeit war, den Mund zu halten, aber er war noch immer wütend. »Seit meinem dreizehnten Lebensjahr muß ich mit anhören, wie die Familie Pilaster meinen Vater in den Dreck zieht. Ich lasse mir das nicht auch noch von einer Zirkusartistin bieten.«
    Maisie erhob sich. Ihre Augen funkelten wie geschliffene Smaragde. Im ersten Moment glaubte Hugh, sie wollte ihn schlagen. Doch dann sagte sie: »Komm, Solly, tanz mit mir! Vielleicht ist dein ungehobelter Freund nachher verschwunden.«
     
    Der Streit zwischen Hugh und Maisie brachte die Tischgesellschaft auseinander. Während Solly und Maisie sich entfernten, beschlossen die anderen, sich einen Rattenkampf anzusehen. Obwohl derartige Veranstaltungen gesetzlich verboten waren, gab es im Umkreis von fünf Minuten um den Piccadilly Circus ein halbes Dutzend Arenen, in denen regelmäßig solche Schauspiele stattfanden. Micky Miranda kannte jede einzelne von ihnen. Als sie die Argyll Rooms verließen und in jenem Londoner Stadtviertel untertauchten, das als »Babylon« bekannt war, herrschte bereits Dunkelheit. Außer Sichtweite der Paläste von Mayfair, aber von den Herrenclubs von St. James aus bequem erreichbar, begann ein Gewirr kleiner Straßen und Gassen, das von

Weitere Kostenlose Bücher