Die Pfeiler der Macht
der Londoner Saison nach Paris geschickt und bringen sie dann nach Yorkshire. Es ist ziemlich schlimm - aber Sie bedeu t en ihr nichts mehr. Es tut m i r aufric h tig l e id ...
Jane
Die Argyll Rooms waren das beliebteste Etablissement Londons, doch Hugh hatte sich bisher dort nicht blicken lassen. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, einen solchen Ort aufzusuchen. Obwohl strenggenommen kein Bordell, hatten die Argyll Rooms doch einen denkbar schlechten Ruf. Ein paar Tage nachdem Florence Stalworthy ihm endgültig den Laufpaß gegeben hatte, scherte sich Hugh aber nicht mehr darum und stimmte sofort zu, als Edward ihn beiläufig fragte, ob er nicht am Abend mit ihm und Micky die Sause machen wolle.
Hugh und Edward verbrachten ihre Freizeit nur selten miteinander. Edward hatte sich nicht geändert: Er war und blieb ein heillos verwöhnter Faulpelz, der mit Vorliebe Schwächere tyrannisierte und andere für sich arbeiten ließ. Hugh dagegen galt schon seit langem als das schwarze Schaf der Familie. Es hieß allgemein, er wandele in den Fußstapfen seines Vaters. Doch obwohl ihn mit Edward kaum etwas verband, war Hugh an diesem Tag entschlossen, sich jenen Ausschweifungen und Ablenkungen hinzugeben, die für Tausende von Männern aus der britischen Oberschicht schlichtweg zum Lebensstil gehörten: Halbweltkneipen und leichte Mädchen. Vielleicht haben sie ja recht, dachte Hugh. Vielleicht ist dies der richtige Weg zum Glück - und wahre Liebe nur eine Schimäre.
War er überhaupt in Florence Stalworthy verliebt gewesen? Er wußte es nicht genau. Ja, er war wütend, weil sich ihre Eltern gegen ihn gestellt hatten, und dies um so mehr, als dahinter eine böse Intrige gegen seinen Vater steckte. Doch sein Herz - er gestand es sich nur mit einem Anflug schlechten Gewissens ein -, sein Herz war nicht gebrochen. Er dachte oft an Florence, aber er litt weder an Schlafstörungen noch an Appetitlosigkeit und konnte sich problemlos auf seine Arbeit konzentrieren. Bewies das, daß er sie nie geliebt hatte? Das Mädchen, das ihm - abgesehen von seiner Schwester Dotty - mehr gefiel als alle anderen, war Rachel Bodwin, und er hatte des öfteren mit dem Gedanken gespielt, sie zu heiraten. War es Liebe? Er wußte es nicht. Vielleicht war er noch zu jung, um zu begreifen, was Liebe eigentlich war. Vielleicht kannte er sie ganz einfach noch nicht.
Die Argyll Rooms lagen in unmittelbarer Nachbarschaft einer Kirche in der Great Windmill Street, nur ein paar Schritt vom Piccadilly Circus entfernt. Nachdem Edward für jeden einen Shilling Eintritt bezahlt hatte, betraten sie das Gebäude. Ihre Kleidung war stilgemäß: schwarzer Frack mit Seidenaufschlägen, schwarze Hose mit Seidenborten, tiefgeschnittene weiße Weste, weißes Hemd und weiße Fliege. Edwards Anzug war neu und teuer. Mickys war nicht ganz so exklusiv, aber vom Schnitt her modischer. Hugh trug den Anzug, den er von seinem Vater geerbt hatte.
Gaslampen tauchten den Ballsaal verschwenderisch in gleißendes Licht, das von riesigen vergoldeten Spiegeln zurückgeworfen wurde. Auf dem Tanzboden drängten sich die Paare, und, abgeschirmt durch ein goldfarbenes ziseliertes Gitterwerk, spielte das halbverborgene Orchester eine zündende Polka. Einige wenige Männer im Frack taten mit ihrer Kleidung kund, daß sie der Oberschicht angehörten und im Milieu Zerstreuung suchten. Die weitaus meisten jedoch trugen seriöse dunkle Tagesanzüge, die sie als Angestellte und kleine Geschäftsleute auswiesen. Oberhalb des Ballsaals befand sich eine schattige Galerie. Edward zeigte mit dem Finger darauf und sagte zu Hugh: »Wenn du dir eine Puppe angelacht hast, kannst du sie für einen weiteren Shilling mit raufnehmen. Plüschsessel, gedämpftes Licht, blinde Ober ... du verstehst.«
Hugh war ganz benommen - und dies nicht nur der Beleuchtung wegen. Die Aussichten waren vielversprechend. Überall Mädchen - und alle waren sie nur aus einem einzigen Grund gekommen: Sie wollten flirten! Manche waren mit ihrem Freund da, andere aber waren offensichtlich unbegleitet. Und wie sie angezogen waren! Phantastisch! Abendkleider mit Turnüren, zum Teil mit sehr gewagten Dekolletes. Und erst die Hüte! Unglaublich ... Eines war jedoch auffallend: Auf der Tanzfläche trugen alle Mädchen sittsam ihre Mäntel. Es waren eben keine Prostituierten, sondern ganz normale Mädchen von nebenan, Verkäuferinnen, Dienstmädchen, Schneiderinnen. »Und wie lernt man sie persönlich kennen?« fragte
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