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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Spielsalons, Opiumhöhlen, blutrünstigen Tierkämpfen, Pornographieverkäufern und - vor allem - von Bordellen beherrscht wurde. Es war eine schwüle, schweißtreibende Nacht, und in der schweren Luft hing der Geruch nach Essen, Bier und Gosse. Micky und seine Freunde schlenderten mitten auf der Straße durchs Menschengedränge. Es dauerte keine Minute, da versuchte ein Mann im verbeulten Zylinder ihm ein Buch mit obszönen Versen anzudrehen; ein junger Kerl mit Rouge auf den Wangen zwinkerte ihm zu; eine gutgekleidete Frau in seinem Alter öffnete ihre Jacke und präsentierte Micky für einen Augenblick zwei prächtige nackte Brüste, und eine zerlumpte Alte bot ihm Sex mit einem engelgesichtigen Mädchen, das vielleicht zehn Lenze zählte. Die Kneipen, Tanzschuppen, Hurenhäuser und billigen Absteigen hatten rußgeschwärzte Mauern und schmutzstarrende Fenster, die hie und da Einblicke in wüste, von Gaslichtern erhellte Gelage gewährten. Unter den Passanten sah man junge Stutzer in Frack und weißer Weste wie Micky, Angestellte und kleine Ladenbesitzer mit Melone auf dem Kopf, glotzäugige Bauern, Soldaten in aufgeknöpften Uniformen, Seeleute, die vorübergehend viel Geld in den Taschen hatten, sowie eine überraschend große Zahl von Arm in Arm dahinschreitenden Paaren, die den Eindruck respektabler Bürgerlichkeit erweckten.
    Micky genoß den Ausflug. Zum erstenmal seit Wochen war es ihm gelungen, Papa für einen Abend zu entkommen. Sie warteten auf den Tod von Seth Pilaster, um endlich ihr Waffengeschäft unter Dach und Fach zu bringen, doch der alte Mann klammerte sich ans Leben wie die Napfschnecke an den Küstenfelsen. Mit dem eigenen Vater Varietes und Bordelle aufzusuchen machte keinen Spaß, zumal Papa ihn eher wie einen Diener behandelte. Das ging so weit, daß er ihm manchmal befahl, im Vorzimmer zu warten, während er es mit einer Hure trieb. Der heutige Abend war eine wahre Erholung.
    Das Wiedersehen mit Solly Greenbourne freute ihn. Die Greenbournes waren noch reicher als die Pilasters; vielleicht erwies sich die Bekanntschaft mit Solly eines Tages noch als nützlich. Die Begegnung mit Tonio Silva war weniger erfreulich. Tonio wußte zuviel über den Tod von Peter Middleton, der inzwischen sieben Jahre zurücklag. Damals hatte Tonio eine Heidenangst vor Micky gehabt. Vorsichtig war er inzwischen zwar immer noch, und er bewunderte Micky wohl auch noch, aber er war doch nicht mehr so eingeschüchtert wie einst. Tonio war ein Problem, doch vorläufig wußte Micky noch nicht, was er dagegen unternehmen konnte.
    Micky bog in eine kleine Seitengasse der Windmill Street ein. Auf Abfallhaufen hockten Katzen und starrten ihn mit funkelnden Augen an. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß die anderen noch immer hinter ihm herzogen, betrat er eine finstere Kaschemme, marschierte, vorbei an der Bar, geradewegs zur Hintertür hinaus, überquerte einen vom Mondschein erhellten Hinterhof, in dem gerade eine Hure vor ihrem Freier kniete, und öffnete die Tür zu einem windschiefen, stallartigen Holzschuppen. Ein Mann mit ungewaschenem Gesicht, der einen langen, verschmierten Mantel trug, verlangte vier Pence als Eintrittsgeld. Edward zahlte, und sie traten ein.
    Das Innere des Gebäudes war hell erleuchtet und voller Tabakrauch, in dessen Geruch sich ein fauliger Gestank nach Blut und Exkrementen mischte. Vierzig oder fünfzig Männer und ein paar Frauen umstanden eine kreisförmige Arena. Die Männer stammten aus allen gesellschaftlichen Schichten. Einige von ihnen trugen die schweren Wollanzüge und gepunkteten Halstücher gutsituierter Arbeiter, andere waren in Gehrock oder Abendanzug erschienen. Die Frauen dagegen entsprachen durchweg dem eher halbseidenen Typ der April Tilsley. Ein paar Männer hatten Hunde mitgebracht; sie trugen sie entweder auf dem Arm oder hatten sie an Stuhlbeinen festgebunden.
    Micky deutete auf einen bärtigen Mann mit Tweedmütze, der einen Hund an einer schweren Kette hielt. Einige Zuschauer prüften das Tier mit kritischem Blick. Der untersetzte, muskulöse Hund hatte einen massigen Kopf und kräftige Kiefer, die durch einen Maulkorb gebändigt wurden. Er wirkte sehr aufgebracht und unruhig. »Das ist der nächste«, sagte Micky. Edward entfernte sich, um bei einer Frau mit einem Tablett ein paar Drinks zu erstehen. Micky wandte sich auf Spanisch an Tonio. Es war unhöflich, dies vor Hugh und April zu tun, die beide die fremde Sprache nicht beherrschten, doch Hugh war ein Niemand

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