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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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verlegen und wandte sich ab.
    Er verdrängte den Gedanken an Maisies Busen und widmete seine Aufmerksamkeit den ehemaligen Schulkameraden. Sie hatten sich verändert in den vergangenen sieben Jahren. Solly Greenbourne war sichtlich reifer geworden. Obwohl er noch immer ungemein dick war und noch immer das gleiche umgängliche Grinsen zur Schau trug, umgab den Mittzwanziger inzwischen eine Aura der Autorität. Es mochte an seinem immensen Reichtum liegen - aber reich war Edward auch, und dem fehlte jede Spur einer solchen Aura. Solly wurde in der City bereits respektiert. Gewiß, als Erbe der Greenbourne-Bank gewann man leichter Respekt als andere - doch wehe, ein junger Mann in vergleichbar privilegierter Stellung erwies sich als Dummkopf: Er konnte binnen kürzester Zeit zur Lachnummer werden.
    Auch Edward war älter geworden, im Gegensatz zu Solly aber nicht reifer. Wie ein Kind kannte er nur das Spiel. Er war nicht dumm, hatte jedoch große Schwierigkeiten, sich auf seine Arbeit in der Bank zu konzentrieren. Er arbeitete dort ungern und wünschte sich immer anderswohin, wollte tanzen, trinken und -spielen.
    Micky hatte sich zu einem bildhübschen Teufel mit dunklen Augen, schwarzen Brauen und etwas zu langem lockigem Haar entwickelt. Sein Frack entsprach der Etikette, war aber eine Spur zu forsch: Das Jackett hatte einen Samtkragen und Samtaufschläge, das Hemd war gekräuselt. Micky war ein Frauentyp: Die bewundernden, ja einladenden Blicke der Mädchen an den Nachbartischen waren Hugh nicht entgangen. Maisie Robinson dagegen mochte ihn offenbar nicht, und dies vermutlich nicht nur wegen der dummen Bemerkung über die Judenjungen. Irgend etwas stimmte nicht mit Micky. Er war aufreizend ruhig, verschlossen und dabei stets auf der Hut. Er war nicht aufrichtig, verriet nur selten ein Zögern, eine Unsicherheit oder einen wunden Punkt und gewährte niemandem einen Blick in seine Seele - so er denn eine hatte. Hugh traute ihm nicht über den Weg. Der nächste Tanz war vorüber. Tonio Silva und Miss April Tilsley kamen an den Tisch. Hugh war Tonio seit der gemeinsamen Schulzeit nur wenige Male begegnet, hätte ihn aber an seinem karottenroten Haarschopf sofort wiedererkannt. Bis zu jenem unglückseligen Tag im Jahre 1866, als plötzlich Mutter kam, ihm die Nachricht vom Tod seines Vaters brachte und ihn aus der Schule nahm, waren sie die besten Freunde gewesen. Sie galten als die bösen Buben der Untertertia und eckten immer wieder an. Und trotz der Prügel, die es mitunter setzte, hatten sie ihr Schülerdasein genossen.
    Was war damals am Badeteich wirklich geschehen? Hugh hatte sich diese Frage über die Jahre immer wieder gestellt. Die Version der Zeitungen, der zufolge Edward versucht hatte, Peter Middleton zu retten, hatte er nie für bare Münze genommen, dazu fehlte Edward ganz einfach der Mut. Tonio war nach wie vor verschwiegen wie ein Grab, und der einzige andere Zeuge, Albert Cammel, lebte inzwischen in der Kapkolonie.
    Tonio schüttelte Micky die Hand. »Wie geht's, Miranda?« Obwohl seiner Stimme nichts anzumerken war, spürte Hugh, daß Tonio die alte Angst noch immer nicht überwunden hatte. Seine Miene verriet eine Mischung aus Angst und Bewunderung - wie ein braver Bürger, der unversehens einem für sein aufbrausendes Temperament bekannten Preisboxer begegnet. April Tilsley, Tonios Begleiterin, war nach Hughs Einschätzung ein wenig älter als ihre Freundin Maisie und, da sie etwas verhärmt wirkte, nicht ganz so attraktiv. Tonio schien sich daran nicht zu stören. Er tätschelte ihren Arm, flüsterte ihr etwas ins Ohr, brachte sie zum Lachen und fühlte sich in ihrer Gesellschaft offensichtlich sehr wohl.
    Hugh wandte seine Aufmerksamkeit wieder Maisie zu. Sie redete viel und gerne. Ihre melodische Stimme hatte einen leichten Akzent und erinnerte an den Tonfall jener Gegend im Nordosten Englands, wo Tobias Pilaster einst seine Speicherhäuser hatte. Die Wandlungsfähigkeit ihres Gesichts faszinierte ihn: Sie lächelte, runzelte die Stirn, schob schmollend die Lippen vor, zog die Stupsnase kraus, rollte die Augen. Ihre Wimpern waren blaßblond, auf der Nase verloren sich ein paar Sommersprossen. Sie war eine unkonventionelle Schönheit, gewiß - aber niemand hätte bestreiten können, daß sie die hübscheste Frau im Saal war. Hugh war wie besessen von dem Gedanken, daß Maisie wahrscheinlich bereit war, noch in dieser Nacht einen der Männer hier am Tisch zu küssen, mit ihm zu schmusen oder es sogar

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