Die Pfeiler des Glaubens
eines der Zimmer im oberen Stock … Wie hieß er noch? Hernando wollte ihn ansprechen, aber der junge Mann führte nur einen Finger an die Lippen und bedeutete ihm weiterzugehen. Was hatte der Bursche nur?
Als sie am Haus angekommen waren, hörte Hernando leise Stimmen, die ein traditionelles Moriskenlied sangen. Er ging durch das Tor in den Patio und stellte zu seiner Überraschung fest, dass sich alle Hausbewohner dort versammelt hatten. Hernando konnte auch Hamid und einige fremde Männer und Frauen unter den Anwesenden ausmachen. Die einen flüsterten miteinander, die anderen summten das Lied, das Hernando schon auf der Straße vor dem Haus gehört hatte. In einem Winkel des Patios betete ein Mann – vermutlich gen Mekka. Jetzt ging Hernando endlich auf, warum der junge Mann an der Straßenecke Wache hielt: Es war den Morisken verboten, sich zu versammeln, geschweige denn zu beten.
»Wehe, wenn sie euch entdecken …«, setzte Hernando an.
»Ibn Hamid, komm zu uns!«, unterbrach ihn der Alfaquí, der sofort auf ihn zutrat.
Hernando war sprachlos. Hamids Tonfalls war sehr schroff gewesen.
»Ich … also … Es tut mir leid. Du hast recht. Ich wollte sagen, wenn sie uns entdecken.« Hamid nickte. »Was machst du hier?«
»Mein Dienstherr hat mir freigegeben.«
Hernando hatte den Überblick sowohl über den christlichen als auch über den muslimischen Kalender längst verloren. War heute ein Feiertag? Und wohin war Fatima plötzlich verschwunden?
»Es tut mir leid, Hamid, aber was wird hier gefeiert?«, fragte er verwirrt und ließ seinen Blick über die vielen Menschen wandern. Da sah er Fatima am anderen Ende des Patios. An ihrem Hals schimmerte der goldene Anhänger – die verbotene Fatimahand. Als Hernando ihr zulächelte, erwiderte sie sein Lächeln zunächst, blickte dann aber traurig zu Boden. Was war hier los? Er hielt besorgt nach Ibrahim Ausschau und entdeckte ihn etwas abseits – er sah müde und erschöpft aus. »Was … was feiern wir denn nun?«, fragte er den Alfaquí noch einmal, diesmal mit belegter Stimme.
»Wir haben unseren ersten Glaubensbruder aus der Sklaverei befreit«, antwortete Hamid feierlich und zeigte auf einen Mann mit Brandzeichen im Gesicht. Hernando sah zu dem Morisken, der gemeinsam mit seiner Frau die Glückwünsche der Anwesenden entgegennahm.
»Das ist seine Ehefrau«, erklärte Hamid. »Sie erfuhr, dass er als Sklave im Haus eines Händlers in Córdoba lebte und …« Hamid legte eine Pause ein.
»Und?«, fragte Hernando abwesend. Was war nur mit Fatima los? Er versuchte, sie auf sich aufmerksam zu machen, doch sie sah nicht mehr zu ihm herüber.
»Er gehört wieder zur Gemeinschaft.«
»Das ist schön.«
»Zu seinen Brüdern.«
»Aha.«
»Alle haben sich an seinem Freikauf beteiligt. Alle Morisken von Córdoba! Alle. Selbst ich habe ein wenig …« Hernando sah Hamid fragend an. »Fatima war besonders großzügig.«
Hernando spürte einen Stich im Herzen und schüttelte langsam den Kopf, als wollte er die soeben gehörten Worte vertreiben. Nein! Er musste sich mit einer Hand an der Mauer festhalten.
»Das Geld!«, flüsterte er. »Mit dem Geld wollten wir ihre Freiheit kaufen und …«
»Und deine eigene?«, vermutete Hamid.
»Ja«, erwiderte Hernando ernst und richtete sich wieder auf. »Unsere Freiheit!«
Er sah erneut zu Fatima hinüber. Sie stand mit erhobenem Haupt da und hielt seinem verzweifelten Blick stand. Fatima hatte dem Alfaquí alles erzählt und alles gegeben. Hernando wusste nicht, was er davon halten sollte.
Warum? Hernandos Lippen formten die vorwurfsvolle Frage, Fatima lächelte.
Hamid antwortete an ihrer Stelle.
»Weil du dich von deinem Volk entfernt hast, Ibn Hamid.« Jeder Muskel in Hernandos Körper spannte sich an. »Wir alle versuchen, uns heimlich zu versammeln, zu beten, unseren Glauben am Leben zu halten oder unseren Glaubensbrüdern in Not zu helfen, nur du ziehst als kleiner Gauner durch die Straßen von Córdoba.« Hamid hielt inne. Hernando entgegnete nichts, Fatimas schwarze Mandelaugen hielten ihn in ihrem Bann. »Es schmerzt mich, dich – meinen Sohn – so ehrlos zu sehen.«
Hernando begann am ganzen Leib zu zittern.
»Musste Fatima deshalb auf ihre Freiheit verzichten?«
»Sie vertraut auf Gottes Barmherzigkeit. Und du solltest das Gleiche tun. Komm zu uns, komm zu deinem Volk. Eure heutigen Fesseln sind unsere ewigen Gesetze, und nur Gott ist dazu berufen, sie uns aufzuerlegen und uns davon zu befreien. Als
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