Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildefonso Falcones
Vom Netzwerk:
wiederum hatten sich weitere eintausend Büßer eingefunden. Hernando trug das schwere Holzkreuz auf dem Rücken und beobachtete die Menschenmenge, ehe sie losmarschierte. Fast alle liefen barfuß wie er und trugen nur Beinkleider. Einige Büßer führten Geißeln an Beinen und Hüften mit sich, mehrere Männer hatten ihre nackten Oberkörper mit Dorngestrüpp oder Brennnesseln bedeckt, einige trugen Stricke um den Hals und wurden von anderen Büßern gezogen. Hernando hörte das Raunen der Betenden, aber innerlich fühlte er eine beunruhigende Leere. Was würden seine Glaubensbrüder denken, wenn sie ihn so sähen? Vermutlich würden sie ihn in diesem Gedränge gar nicht erst erkennen. Aber, so sagte er sich immer wieder, ihre Meinung war inzwischen ohnehin bedeutungslos.
    Die Bittprozession zog sich langsam durch die Stadt und kam dabei an möglichst vielen Kirchen und Klöstern vorbei. Die Zuschauer am Straßenrand fielen bei ihrem Anblick auf die Knie. Wenn eines der Gotteshäuser am Weg groß genug war, schritt der Zug unter den Gesängen des jeweiligen Kirchenchores durch das Gebäude. Es hatten sich inzwischen so viele Teilnehmer eingefunden, dass der Anfang mit den Obrigkeiten dem Ende mit den Büßern einige Stunden voraus war. Bei weniger geräumigen Kirchen säumten die Bewohner des Pfarrbezirks mit Heiligenbildern den Platz vor ihrer Kirche und stimmten das Miserere an.
    Inzwischen hatte der Umzug, der laut Bekanntmachung bis in den Abend dauern sollte, bereits eine beachtliche Strecke zurückgelegt. Hernando hielt das Gewicht des wuchtigen Kreuzes allmählich nicht mehr aus. Warum hatte er sich nicht auf ein Kreuz aus zwei Schwertern oder zwei Balken beschränkt? Warum, zum Teufel noch mal, lief er sich hier die Füße wund, tappte durch Schlammpfützen und sang christliche Fürbitten?
    »Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum …«, murmelte Hernando im Einklang mit den Menschen ringsum. Das Ave-Maria, das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis, das Salve-Regina oder das Miserere … Die Gebete und Gesänge nahmen kein Ende. Was hatte er hier zu suchen? Abertausende Kerzen und Fackeln, Weihrauch, Segnungen, Bilder und Heiligenfiguren, Männer und Frauen, die in mystischer Verzückung auf Knien den Himmel anriefen, Flagellanten mit blutigen Rücken. Hernando fühlte sich fehl am Platz … Er war schließlich Muslim!
    Die frommen Christen von Córdoba hatte man durch die öffentlichen Bekanntmachungen und Ausrufe zur Teilnahme an der Bittprozession aufgefordert, den Morisken hingegen kam eine andere Aufgabe zu: Sie mussten der Prozession zusehen. Schon Tage vor dem Ereignis hatten Pfarrer, Sakristane und Vikare, Jurados und Büttel die Verzeichnisse der registrierten Neuchristen an sich genommen und waren von Haus zu Haus gegangen, und wie sonst nur sonntags fanden sie sich am Lukastag schon frühmorgens an den Kirchentüren ein und überprüften anhand ihrer Register, dass auch keiner der Neuchristen bei der Beichte und dem Abendmahl fehlte. Niemand durfte zu Hause bleiben, alle mussten sich bei der Prozession einfinden und für die Schiffe der Unbesiegbaren Armada beten. Ganz Spanien flehte mit einer einzigen Stimme um ihre Heimkehr!
    »Worauf wartest du, Alte?« Der Bäcker schüttelte Aischa, die im Vorraum ruhte, ihren Nachbarn aber keines Blickes würdigte. Was gingen sie diese verdammten Schiffe an! »Es ist eine Prozession der Nazarener«, schrie er, als er bemerkte, dass Aischa sich auf dem blanken Boden unter ihrer Decke verkroch. »Deinesgleichen! Die Richter überprüfen, ob wir hingehen. Willst du etwa, dass Unglück über das ganze Haus kommt? Steh endlich auf!«
    Zwei der Morisken, die schon auf der Straße warteten, kehrten bei den lauten Worten wieder ins Haus zurück.
    »Was ist los?«, fragte einer von ihnen.
    »Sie will einfach nicht aufstehen.«
    »Wenn sie nicht zur Beichte geht, kontrollieren die Richter das Haus und verdächtigen auch die übrigen Bewohner. Dann kommen sie jeden Tag – nicht nur alle zwei Wochen.«
    »Das sage ich doch«, stellte der Bäcker fest.
    »Verdammte Nazarenerin«, drohte ihr der dritte Mann und kniete neben Aischa, »entweder kommst du jetzt freiwillig mit oder …«
    Schließlich schleiften sie Aischa zur Kirche des heiligen Jakobus. Der Sakristan strich ihren Namen in seiner Liste durch und trat angeekelt zur Seite.
    »Sie ist krank«, behaupteten die Männer.
    Es gelang ihnen nicht, Aischa zur Beichte zu bewegen, und sie wagten erst recht nicht, sie

Weitere Kostenlose Bücher