Die Pfeiler des Glaubens
wiederholte er die düstere Litanei, die ihn nun schon den ganzen Tag umgab.
»Amplius lava me ab iniquitate mea …«
Er war nur mehr mit der Pein seiner schweren Last beschäftigt. Den Streit am Straßenrand bemerkte er nicht. Er sah nicht, wie sich die Menschen um seine Mutter drängten.
55
E nde Oktober wandte sich König Philipp an alle Bischöfe seines Reiches: Er bedankte sich für die Bittgebete und Prozessionen, forderte die Würdenträger jedoch zugleich auf, davon abzulassen. Er hielt es für ausgeschlossen, dass – zehn Wochen nachdem die Armada in den Atlantischen Ozean abgetrieben war – noch ein einziges Schiff zurückkäme. Einige Tage später schrieb der Monarch in einem Brief an die Gemahlin des Herzogs von Monterreal, seines Cousins, dass die Engländer Don Alfonso de Córdoba und seinen Erstgeborenen, die vor der irischen Küste gestrandet waren, zu seinem großen Bedauern getötet hatten.
Zwei spanische Seeleute, die zunächst mithilfe irischer Rebellen der Hinrichtung entgehen und dann über Schottland nach Flandern fliehen konnten, hatten so präzise von der Tötung des Herzogs und seines Sohnes berichtet, dass kein Zweifel möglich schien. Offensichtlich hatte eine Patrouille der Engländer den Herzog und seine Männer festgenommen, als sie nach ihrem Schiffbruch durch irisches Gebiet irrten. Ohne auf Don Alfonsos Einwände einzugehen, der beim Sheriff seinen Stand als Grande geltend machen wollte, zwangen die Engländer alle Spanier, sich auszuziehen, und erhängten sie wie gewöhnliche Verbrecher.
Als der Sekretär Don Silvestre eines Morgens – nach einer Audienz bei Doña Lucía – auch allen Hidalgos das Schreiben verlas, hielt sich Hernando nicht im Palast auf. Seit zwei Tagen sprach er immer wieder beim Inquisitionsgericht im Alcázar vor, um vom Gerichtsschreiber, dem Notar oder dem Inquisitor persönlich empfangen zu werden. Er hatte erst nach zehn Tagen von der Verhaftung seiner Mutter erfahren. Der Webermeister Juan Marco hatte ihn durch einen Lehrling davon in Kenntnis gesetzt und ihm das Geld zurückgegeben, da Aischa nicht mehr bei der Arbeit erschienen war. Der Lehrling, selbst noch ein Kind, berichtete erzürnt von dem Vorfall.
»Deine Mutter hat bei der Prozession den Gott der Ketzer angerufen, genau als die Büßer vorüberzogen.« Hernando glitten die Münzen aus der Hand und klimperten über den Fußboden. Sie hatte ihn erkannt! »Sie ist eine gottverdammte Ketzerin. Dafür verdient sie den Scheiterhaufen!«
Doch alles, was Hernando bei der Inquisition erreichen konnte, war, dass sie sein Geld für Aischas Mahlzeiten annahmen. Dabei konnte er nicht ahnen, dass seine Mutter entschieden hatte, die spärlichen und ekelerregenden Speisen, die ihr die Gefängniswärter in die Zelle warfen, nicht eines Blickes zu würdigen.
Don Esteban fiel als Erster auf die Knie, als Don Silvestre die Verlesung des königlichen Schreibens beendet hatte. Die übrigen Hidalgos folgten seinem Beispiel, und jeder begann für sich mit einem Gebet. Schließlich beendete der Kaplan das Durcheinander.
»Wie sollte Christus unser Flehen denn auch erhören, wenn zugleich die Mutter des Mannes, dem Don Alfonso seine Güte und Freundschaft schenkte, den falschen Gott der Sekte Mohammeds anrief?«
Doña Lucía, die still in einem Sessel kauerte, hob bei diesen Worten plötzlich den Blick. Ihr Kinn bebte.
»Eine Bittprozession führt doch zu nichts, wenn dabei Gott gelästert wird!«
Die Herzogin sah zu dem Hidalgo, der soeben diesen Vorwurf geäußert hatte, und drückte durch ein Nicken ihre Zustimmung aus, da ging ein weiterer Hidalgo zum Angriff auf Hernando über.
»Mutter und Sohn haben sich zweifellos abgesprochen. Ich habe selbst gesehen, wie der Moriske seiner Mutter ein Zeichen …«
Das war für die Anwesenden das Signal.
»Ketzer!«
»Er hat Gott gelästert!«
»Er ist der Grund, warum der Allmächtige uns seine Gnade verweigert.«
Doña Lucía kniff die Augen zusammen. Sie würde nicht zulassen, dass der Sohn einer Ketzerin, die noch dazu die Bittprozession beleidigt hatte, weiterhin im Palast lebte und die Gunst ihres Mannes genoss – der sie ihm nicht mehr gewähren konnte!
Als Hernando am Abend, noch nichts von Don Alfonsos Tod ahnend, bedrückt vom Inquisitionsgericht heimkehrte, fing ihn der Sekretär schon am Palasttor ab.
»Du musst morgen früh den Palast verlassen«, verkündete ihm Don Silvestre. »Das ist eine Anweisung der Herzogin. Du bist es nicht wert,
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