Die Pfeiler des Glaubens
Mann hinterher. Der drehte sich seinerseits um, und als er feststellte, dass ihm der Alfaquí nachschaute, beschleunigte er seine Schritte. Munir zögerte keine Sekunde und setzte ihm nach. Hatte der Mann etwas zu verbergen? Was war mit Hernando geschehen?
Zu weiteren Fragen kam er gar nicht erst. Bei den Bäumen angekommen, traten ihm mehrere Männer in den Weg und hielten ihn fest, einer von ihnen bedrohte ihn sogar mit einem Dolch.
»Nur eine falsche Bewegung, und du bist tot«, warnte ihn Abdul. »Was willst du?«
»Ich suche Hernando Ruiz«, erwiderte Munir und versuchte an den Männern vorbei in den Wald zu spähen.
»Wir kennen keinen Hernando Ruiz«, begann Abdul.
»Aber«, sagte der Alfaquí, »wer ist dann der Mann, den ihr dort zwischen den Bäumen versteckt haltet?«
Selbst in der vom Mond nur schwach erhellten Dunkelheit waren inmitten einer Gruppe von vier Barbaresken, die alle nur einfaches und für Schiffe geeignetes Schuhwerk trugen, eindeutig Hernandos schwere Reitstiefel zu erkennen. Abdul drehte sich zu der Stelle um, zu der Munir zeigte.
»Meinst du den da?«, brummte er hämisch, als er einsehen musste, dass er die Anwesenheit seines Vaters nicht mehr leugnen konnte, der offensichtlich nicht zu der Gruppe der Barbaresken gehörte. »Meinst du den Abtrünnigen, der unseren Glauben und unser Volk verraten hat?«
Munir konnte nicht anders, er musste laut loslachen.
»Das soll ein Abtrünniger sein? Du weißt ja gar nicht, was du da sagst.« Abdul kniff die Augenbrauen zusammen, und in seinen blauen Augen konnte man erste Zweifel erkennen. »In ganz Spanien gibt es nur wenige Männer, die ihr Leben lang so hart und aufopferungsvoll für unseren Glauben gekämpft haben.«
Abdul zögerte. Da löste sich Shamir aus der Gruppe und trat näher.
»Was fällt dir ein, so etwas zu behaupten?«, fauchte er.
Jetzt konnte der Gelehrte Hernando besser sehen: Sein Freund kniete am Boden und wirkte niedergeschmettert, er hielt den abwesenden Blick gesenkt. Nicht einmal diese Unterredung schien ihn aus seiner Versunkenheit reißen zu können.
»Ich bin Munir«, stellte er sich vor. Was war nur mit Hernando los? »Ich bin der Alfaquí von Jarafuel und vom Cofrentes-Tal.«
»Wir wissen«, platzte Shamir heraus, »dass dieser Mann mit Christen zusammenarbeitet und dass er Morisken verraten hat. Er hat den Tod verdient.«
Hernando verharrte immer noch reglos.
»Ihr habt keine Ahnung, nicht wahr?«, fragte Munir. »Woher kommt ihr? Aus Algier? Aus Tetuan?«
»Wir sind aus Tetuan«, antwortete Abdul jetzt in einem Tonfall, der einem Alfaquí gegenüber eher angemessen war, »die anderen …«
Munir nutzte die Unschlüssigkeit des Barbaresken, um sich aus dem eisernen Griff des Mannes zu befreien, der ihn immer noch festhielt.
»Ihr kommt also aus den Barbareskenstaaten, wo ihr unbehelligt und unbesorgt als Muslime leben könnt.« Der Alfaquí schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich selbst nehme jeden Sonntag das Abendmahl. Ich bekenne meine christlichen Sünden, damit ich den Geleitbrief erhalte, mit dem ich mich frei bewegen kann. Des Öfteren bin ich gezwungen, Schweinefleisch zu essen und Wein zu trinken. Bin ich deswegen ein Abtrünniger? Alle Morisken, die ihr heute Nacht hier gesehen habt, kuschen vor den Anordnungen der Christen! Wie sollten wir sonst überleben und unseren Glauben ausüben können? Hernando hat mindestens genauso viel für den einzigen Gott getan wie wir alle. Ihr könnt mir glauben, ihr kennt diesen Mann nicht.«
»Wir kennen ihn sehr wohl. Er ist mein Vater«, sagte daraufhin Abdul.
»Er ist mein Stiefbruder«, ergänzte Shamir.
Munir stutzte kurz, versuchte dann aber, die beiden jungen Barbaresken von Hernandos heimlichen Arbeiten für die Gemeinschaft zu überzeugen. Er berichtete ihnen von dessen jahrelanger Arbeit an den Schriften für die Bleibücher, von der Torre Turpiana, dem Sacromonte und von Don Pedro de Granada Venegas, Don Alonso del Castillo und Don Miguel de Luna, vom Barnabas-Evangelium und von ihrem Plan. Er erklärte ihnen, dass Hernando immer davon ausgegangen war, dass Ubaid seine Familie ermordet habe.
»Seine Mutter wusste nichts von all dem«, erwiderte er, als Abdul ihn mit Aischas Antwort auf Fatimas Brief konfrontierte. »Hernando musste seine Arbeit geheim halten … sogar vor seiner eigenen Mutter. Für sie und für alle anderen Muslime war ihr Sohn ein Verräter, ein Christ. Hernando nahm es hin. Und er hielt euch für tot. Ihr
Weitere Kostenlose Bücher