Die Pfeiler des Glaubens
ihm sein Sohn da vor? Dass seine Mutter auf ihn gewartet hatte? Seine Mutter? Fatima!
»Fatima lebt?«, keuchte er.
»Ja, Vater«, antwortete Abdul. »Sie lebt. Wir alle leben. Wir alle haben Ibrahims brutalen Hass überlebt. Aber sie hat am meisten gelitten! Du hast deine Familie im Stich gelassen und dein Volk verraten. Mieses Schwein! Der Fettsack Ibrahim hat für das, was er uns angetan hat, bereits bezahlt, das kannst du mir glauben! Und jetzt bist du an der Reihe!«
Ibrahim! Hernando schloss die Augen. Ibrahim! Das war sein Werk! Die Rache seines Stiefvaters. Ibrahim hatte Fatima und die Kinder an sich gerissen! Die Menschen, die Hernando über alles liebte. Warum war er nicht schon früher darauf gekommen? Aber … Er hatte Fatimas weißes Tuch am Hals von Ubaids Leichnam doch mit eigenen Augen gesehen. Wie war das möglich? Steckten Ibrahim und Ubaid dahinter? Gemeinsam? Wohl kaum! Da verstand er plötzlich: Aischa hatte ihn angelogen. Der Gedanke war unerträglich. Warum?
Hernando kauerte auf der kalten Erde, mit Shamirs Waffe auf seine Kehle gerichtet und einem mordlüsternen Francisco neben sich. Er spürte, wie sein Herz raste, als würde es jeden Moment explodieren. O Gott! Fatima lebte! Er wollte weinen, vor Freude und vor Schmerz, aber seine Augen verweigerten ihm jede Träne. Er umklammerte sich wegen der Zuckungen, die plötzlich durch seinen ganzen Körper fuhren. Er hatte doch geglaubt, dass Ubaid seine gesamte Familie ermordet hatte!
»Fatima«, jammerte er.
»Er muss sterben«, urteilte Shamir kalt.
»Tod verheißt ewige Hoffnung«, erwiderte Hernando, ohne nachzudenken.
Abdul zog seinen Dolch, nur wenige Schritte entfernt, während die Morisken auf der Lichtung der Krönung ihres Königs in ehrfürchtigem Schweigen beiwohnten.
»Ich schwöre, dass ich für den einzigen Gott sterben werde!«, hörte man den neuen König genau in dem Moment rufen, in dem Abdul Hernando am Schopf packte, damit seine Kehle freilag.
Fatima! Da sah er seine wunderschöne Frau vor sich.
»Nein!« Hernando bäumte sich auf. »Ich werde nicht sterben, bevor ich nicht mit deiner Mutter gesprochen habe! Ich habe geglaubt, ihr seid tot! Gott allein weiß, wie sehr ich deshalb gelitten habe. Fatima soll entscheiden, ob sie mir verzeiht oder ob sie mich bestrafen will, nicht du. Wenn ich sterben soll, dann nur durch ihren Willen.«
Wütend stieß er seinen Sohn zur Seite und griff zugleich nach dem Krummsäbel an seinem Hals. Die Klinge schnitt ihm in die Hand.
»Denkt ihr, ich will fliehen?«, rief Hernando verächtlich. »Soll ich mit euch kämpfen?« Er öffnete die Arme, um zu zeigen, dass er keine Waffen mit sich führte. »Ich will zu Fatima. Ich will, dass sie über mich urteilt und mich tötet, wenn sie glaubt, dass ich auch nur einen Moment auf sie und auf euch hätte verzichten können, wenn ich gewusst hätte, dass ihr noch am Leben seid.«
Shamir beugte sich zu Abdul herunter und sah ihn fragend an. Nun konnte Hernando seinen Stiefbruder zum ersten Mal genauer betrachten und entdeckte sofort Ibrahims Gesichtszüge. Abdul nickte schließlich: Fatima hatte es verdient, ihre Rache selbst auszuüben, wie bei Ibrahim.
In dem Moment endete die Krönungszeremonie, und die Morisken auf der Lichtung stießen begeisterte Rufe aus.
Die meisten Vertreter der Morisken kehrten noch in dieser Nacht in ihre Dörfer zurück. Sie gaben dem Franzosen Panissault das Versprechen mit auf seine Rückreise, dass man ihm in Pau – der Stadt im französischen Béarn, deren Gouverneur der Herzog von La Force war – die einhundertzwanzigtausend Dukaten übergeben werde. In der allgemeinen Aufbruchsstimmung fiel Munir Hernandos Fehlen zunächst nicht auf, aber irgendwann machte er sich doch Sorgen und begann, ihn zu suchen. Er begab sich zu den Bäumen, an denen sie die Maultiere angebunden hatten: Die beiden Tiere standen noch an Ort und Stelle.
Wo konnte Hernando nur sein? Er war wohl kaum ohne ein Wort des Abschieds und ohne Maultier losgezogen. Zudem stand sein Pferd noch in Jarafuel. Munir befragte mehrere Morisken, aber keiner konnte ihm weiterhelfen. Da eilte plötzlich ein Barbareske an ihm vorbei.
»Hör mal«, rief Munir dem Mann zu, »kennst du einen Hernando Ruiz aus Córdoba? Hast du ihn vielleicht gesehen?«
Der Mann reagierte zunächst auf den Zuruf des Gelehrten, als er aber den Namen des Gesuchten hörte, stammelte er nur etwas vor sich hin und hastete weiter.
Was hatte das zu bedeuten? Munir sah dem
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