Die Pfeiler des Glaubens
kalt. »Und Fatima?«
»Junge … Du lebst … Und bist frei?«, stammelte seine Mutter unter Tränen.
»Mutter, wo ist Fatima?«, fragte er noch einmal, diesmal etwas sanfter, und nahm sie in die Arme.
»Sie sind geflohen. Sie wollen sich den Christen ergeben. Noch heute, bei Sonnenuntergang«, schluchzte sie. Hernando konnte seine Enttäuschung nicht verbergen, und Aischa sprach sofort weiter. »Dein Stiefvater hatte immer wieder Streit mit dem König. Er hat am Ende nicht mal mehr an den Beratungen und Kämpfen teilgenommen, weil er …« Aischa zögerte einen Moment. »Er wollte lieber mit Fatima zusammen sein. Und die Christen geben nur zwei weiteren Menschen die Freiheit, wenn jemand sich ergibt. Also hat er Fatima und Aquil mitgenommen. Fatima hat gesagt, sie könne Humam nicht zurücklassen, und vielleicht kommt es ja auf ein so kleines Kind nicht an.«
»Fatima … Fatima ist mit ihm geflohen?«
»Sie muss ihm doch gehorchen, weil Ibrahim …«
»Und was ist mit Musa?«, unterbrach Hernando seine Mutter. Er wollte sich die Einzelheiten ersparen.
»Er ist nebenan. Hier …«
»Wir müssen sie einholen«, unterbrach er sie erneut.
Es wurde Tag. Nur wenige Schritte von Ibrahims Unterkunft entfernt standen einige Maultiere, und Hernando entschied, eines der Tiere zu nehmen, damit seine Mutter darauf reiten konnte. Der Treiber der Kolonne, ein alter Moriske, wurde durch die Unruhe bei seinen Tieren wach, und Hernando hielt ihm den Krummsäbel vors Gesicht. Er brachte ihn nicht um, sondern zwang ihn nur, sie gerade so weit zu begleiten, bis er keine Gelegenheit mehr haben würde, ihre Flucht zu verraten. Dann ließ er ihn frei.
22
H ernando, Aischa und der kleine Musa brauchten zwei Tage für die Strecke zum Feldlager von Don Juan de Austria in Padul. Unterwegs schlossen sie sich den Hunderten Morisken an, die sich ebenfalls ergeben wollten. Die Männer, Frauen und Kinder schleppten sich schweigend voran, sie waren niedergeschlagen, erschöpft, hungrig und krank. Der Sieg ihrer Kultur – und ihres Gottes – und die Rückeroberung ihres Landes war nur noch eine blasse Illusion. Sie wussten, was mit ihnen geschehen würde: Wie den Morisken aus dem Albaicín-Viertel und der Vega von Granada stand ihnen die Deportation in ein anderes Gebiete der spanischen Krone bevor – weit weg von Granada.
Bei Einbruch der Dunkelheit machten einige von ihnen halt, und viele andere stießen zu ihnen. So verbrachten sie die Nacht in der Gegend von Lanjarón. Niemandem war mehr nach Musik und Tanz zumute, und nur wenige Morisken entfachten ein Lagerfeuer gegen die Kälte. Die Lebensmittel waren knapp, und sie besaßen nur mehr das, was sie bei ihrem Aufbruch hatten mitnehmen können. Kein Muezzin rief zum Gebet.
Hernando kaute auf einer Brotkante. Sein Blick fiel auf einen Grabstichel, der einige Schritt entfernt in der Erde steckte. Er stand auf, nahm ihn und verabschiedete sich von seiner Mutter.
»Wohin gehst du?«
»Keine Sorge, Mutter. Ich komme wieder«, versuchte er sie zu beruhigen.
Er setzte sich auf das Maultier und ritt zum alten Kastell von Lanjarón, das etwas südlich vom Dorf auf einer felsigen Anhöhe thronte. Drei der vier Seiten der beeindruckenden Festung ragten direkt über dem Abgrund auf. Zur Zeit der Nasriden erbaut, war das Kastell beim ersten Aufstand in den Alpujarras im Jahr 1500 schwer beschädigt worden. Damals hatten die Morisken gegen die harte Hand von Kardinal Cisneros rebelliert, was schließlich zum Bruch des Friedensvertrags von Granada durch die Katholischen Könige geführt hatte. Hernando hielt unterwegs zwischen den lagernden Morisken nach Ibrahim und Fatima Ausschau. Vergeblich. Vielleicht waren sie doch schon zum Tablate weitergezogen.
Den Weg zur Festung legte er im silbern schimmernden Mondlicht zurück. Das Maultier erwies sich als erfahren, es bewegte sich vorsichtig und suchte immer nach einem festen Tritt … wie seine Alte. Was wohl aus ihr geworden ist? Und aus dem verwundeten Ritter? Hatte er überlebt? Vermutlich wäre er ohne den Freiheitsdrang des Adligen nicht geflohen und müsste nun auf Barrax’ Fliegendem Pferd rudern … oder wäre tot, wie Jusuf. Beim Gedanken an den Jungen spürte er einen brennenden Schmerz in seiner Brust. Er sah zu der erhabenen Ruine hinauf und seufzte. Nach all den Monaten ergaben sich die Morisken nun also. Schon wieder.
Er ritt den steilen Weg zum verfallenen Kastell hinauf. Oben angekommen, stieg er langsam ab und wartete, bis
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