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Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildefonso Falcones
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Wenige Schritte links von ihm führte ein Weg eine der zahllosen Schluchten der Alpujarras hinab.
    »Steh auf«, trieb er den Edelmann an. Hernando half ihm auf das Maultier. »Halt dich fest!«, flüsterte er und überprüfte den Sattelgurt. Als er ihm das Schwert abnehmen wollte, weigerte sich der Christ und hielt sich mit nur einer Hand fest.
    Hernando führte das Maultier bis zur Schlucht. Mit den Fußfesseln kam er nur in kleinen Schritten voran, außerdem versuchte er möglichst leise zu sein. Er hätte sich am liebsten dem vertrauten Singsang im Feldlager angeschlossen. Erst als er am Rand der Schlucht stand, blickte er zurück und genoss einige Sekunden den Anblick: Tausende Menschen beteten im Licht der Abendsonne gen Osten – mit dem Rücken zur Schlucht. Niemand hatte ihre Flucht bemerkt. Der Christ wurde unruhig. Hernando setzte sich zu ihm auf das Maultier und klammerte sich an den Sattelgurt.
    »Alte, es geht nach Juviles! Bring uns nach Juviles!«
    Sie ließen das Lager und die Schlucht hinter sich. Während das erfahrene Maultier die steilen Abhänge problemlos meisterte und dabei Felsbrocken und Bäumen geschickt auswich, drohten die beiden Reiter immer wieder herunterzufallen. Ihre Gesichter und Arme waren von Dornbüschen und Zweigen zerkratzt, als sie schließlich an einen größeren Bach gelangten, dessen Quelle sich weit oben in der Sierra Nevada befand. Als sie ihn überquerten, vermittelte ihnen das eiskalte Wasser plötzlich das Gefühl von Freiheit. Die Alte blieb in der Mitte stehen und bewegte ihren Hals wild hin und her. Stolz schüttelte sie unzählige Wassertropfen von sich, als wäre sie sich ihrer Heldentat bewusst.
    Hernando ließ sich in den Gebirgsbach fallen. Unter Wasser schrie er vor Freude, und die Luftblasen kitzelten in seinem Gesicht. Sie hatten es geschafft! Sie hatten es tatsächlich geschafft! Auch der Ritter stieg ab und stützte sich auf die Flanken des Maultieres. Er war blass und blutete nach wie vor, aber als er plötzlich mit aller Kraft das wuchtige Langschwert mit der rechten Hand hochhielt, war er trotz des simplen, blutgetränkten Wamses eine beeindruckende Erscheinung.
    Hernando watete zum anderen Ufer und setzte sich. Glücklich.
    »Siehst du?«, sagte der Adlige. »Gott wollte nicht, dass wir sterben.«
    Hernando lachte kurz auf.
    »Man muss kämpfen, nicht verzweifeln. Du bist weder schwer verwundet, noch ist deine Mutter gestorben. Bei Jesus und der Heiligen Jungfrau …«
    Der Christ sprach weiter, aber Hernando hörte ihm nicht mehr zu. Was war mit seiner Mutter? Und mit Fatima?
    »Wir ziehen jetzt weiter«, beendete der Adlige seine lange Rede.
    Weiterziehen? Ja, das war der Sinn der ganzen Flucht gewesen. Aber er war schon einmal aufgebrochen, damals nach Adra, und hatte Fatima und seine Mutter allein gelassen.
    »Warte.«
    »Nein, sie werden uns nachsetzen. Sobald sie unsere Flucht bemerken, werden sie uns folgen.«
    »Warte«, sagte Hernando noch einmal. »Die Nacht wird sie hindern und …«
    »Was?«, unterbrach ihn der Christ.
    »Vor ein paar Monaten«, begann Hernando und stand auf. Er blickte traurig auf Hamids Krummsäbel. »Vor ein paar Monaten bin ich nach Juviles zurückgekehrt, um meine Mutter zu retten.« Hatte es überhaupt Sinn, dem Mann das Blutbad in seinem Dorf vorzuwerfen? Aber dann tat er es doch. »Ihr habt dort mehr als eintausend Frauen und Kinder umgebracht!«
    »Ich habe …«
    »Sei still. Das wart ihr Christen. Und dann habt ihr die Frauen und Kinder, die überlebt haben, auch noch zu Sklaven gemacht.«
    »Und ihr habt …!«
    »Was soll’s«, unterbrach ihn der junge Moriske. »Ich bin damals nach Juviles gegangen, um meine Mutter zu retten, und ich habe es geschafft. Ich konnte auch Fatima retten, meine … Das Mädchen, das meine Frau sein sollte! Danach … Wir haben schwere Zeiten durchgemacht.« Hernando dachte an den Schneesturm auf ihrem Weg zum Ragua-Pass, an das Hochzeitsfest in Mecina, ihre Flucht vor den Christen … Und, was war dabei herausgekommen? »Ich werde sie nicht ihrem Schicksal überlassen.«
    Er sah den Christen herausfordernd an. Der Adlige blutete noch immer und war geschwächt, strahlte aber dennoch eine unheimliche Stärke aus. Hernando hatte Fatima und Aischa in seiner Zeit als Sklave aus seiner Erinnerung getilgt, er hatte sie aus seinen Gedanken verbannt, als gäbe es sie nicht, aber jetzt … Jetzt war er wieder frei! Welch ungeahnte Kraft verlieh einem doch die Freiheit! Sein Stiefvater

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