Die Pferde vom Friesenhof 03 - Flucht bei Nacht und Nebel
fühlte. »Sieben Uhr habe ich gesagt und es ist noch nicht einmal sechs.«
Trainer Thiessen stand hinter ihr. Himmel! War er etwa misstrauisch geworden? Er sah sie so seltsam von der Seite an, während er Klara in den Stall schob. Kims Idee fiel ihr ein: »Wir müssen ihm Theater Vorspielen.«
Klara setzte ihre lässigste Miene auf. »Ich dachte, die Trabernase Tipo hat Lust, vor der Arbeit mit mir zu kuscheln. Ich bin ein echt starker Pferdebeschmuser, Mann, das können Sie mir glauben.«
Unbeirrt hielt Klara dem bohrenden Blick des Trainers stand, obwohl ihr heiß und kalt wurde.
»So«, war alles, was er äußerte, bevor er in der Geschirrkammer verschwand, aus der er gleich darauf mit Lederzeug zurückkam. Er warf es über eine Halterung, holte Tipo aus der Box und band ihn in der Stallgasse an. »Kümmere du dich mal nicht um das Seelenleben der Traber«, sagte er. »Du sollst hier Stallarbeit machen, sonst nichts. Ist deine Freundin auch schon da?«
Klara schüttelte den Kopf. Eilig griff sie nach einer Forke, schob eine Mistkarre vor Tipos Box und warf Pferdeäpfel hinein. Unauffällig ließ sie ihre Blicke durch den Stall schweifen. Lag irgendwo ein zusammengeknülltes Arzneitütchen? Klara entdeckte jedoch nichts.
Dirk Thiessen führte Tipo hinaus. Klara verließ hinter ihm mit der Karre den Stall und kippte die Äpfel auf dem Misthaufen aus. Der Traber trat hin und her, als Thiessen ihn aufzäumte. Tipos zierliches Gesicht wurde fast völlig von Lederriemen eingebunden. Zwei führten von einer Doppeltrense im Maul über Kopf und Nacken bis auf den Rücken, auf dem ein Gurt festgezurrt war. Mit einem Ruck zog Thiessen Tipos Kopf nach hinten.
»Was machen Sie denn da?«, rief Klara aufgebracht. Sie setzte die Schubkarre ab und lief zu ihm hinüber. »Das tut ihm doch weh.«
Ein gleichmütiges Knurren war die Antwort. »Das gehört zur Ausrüstung. Was glaubst du, wie schnell ein Traber angaloppiert ohne den Overcheck.«
Mit flammendem Blick baute sich Klara vor ihm auf. Sie wusste selbst nicht, welcher Teufel sie ritt, als sie herausfordernd sagte: »Je mehr Leder am Pferd, desto schlechter der Reiter. Sagt mein Vater.«
Kaum war der Satz heraus, biss sich Klara auf die Lippen. Das war ziemlich dreist gewesen.
Tatsächlich bekam Thiessen den Mund nicht wieder zu. Verärgert sah er Klara an. »Dann geh doch nach Hause und arbeite bei deinem Vater. Kühe melken. Oder was macht er, der schlaue Bauer?«
Ohne eine Antwort abzuwarten ging der Trainer um Tipo herum, griff dem widerstrebenden Pferd ins Maul und band seine Zunge mit einer Nylonschnur am Unterkiefer fest. Der Trainer bemerkte Klaras Gesichtsausdruck und unterbrach das Aufzäumen. Er trat ganz dicht an sie heran. »Wenn dir das hier alles nicht passt, such dir einen Ferienjob in einem Spielzeugladen. Auf einer Rennbahn geht es ums Geld, sonst nichts. Je eher du das begreifst, desto besser.«
Während seiner kurzen Rede hatte er Tipo zwischen die Scherbäume des Sulkys gespannt. Routiniert klemmte sich Dirk Thiessen in den Sitz, stülpte Sturzhelm und Schutzbrille über, ordnete die Fahrleinen und griff zur Peitsche. »Wenn deine Freundin kommt, mistet ihr die Boxen aus. Alle«, ordnete Thiessen an, bevor er Tipo antreten ließ. »Morgen ist Renntag, hier muss es ordentlich aussehen.«
Vom Renntag selbst bekamen Klara und Kim unglücklicherweise nichts mit. Die Zuschauerwetten begannen erst um achtzehn Uhr und die Mädchen hatten Herrn Eichhorn versprochen, um diese Zeit zurück auf dem Friesenhof zu sein, um beim Abendessen zu helfen.
Am nächsten Morgen erfuhren sie auf der Trabrennbahn, dass Tipo einmal Letzter geworden war, einmal Vorletzter. Nicht gerade ein Ergebnis, das Thiessens Stimmung verbesserte. Galle erschien am Tag nach dem Rennen und stauchte Trainer Thiessen im Stall zusammen. Bis nach draußen hörte man sein Geschrei. Außenstehende konnten mit den gebrüllten Vorwürfen nichts anfangen, aber die Mädchen reimten sich zusammen, dass Thiessen zu viel Beruhigungsmittel ins Futter gemischt hatte. Das hatte zur Folge, dass Tipo beim Rennen zwar nicht galoppiert war, aber derartig benommen war, dass er überhaupt nicht mehr laufen wollte, nicht einmal im Trab.
Für Klara und Kim war Tipos schlechtes Abschneiden ein weiterer Grund, den Trainer ständig im Auge zu behalten. Dass es nun mit dem Doping erst richtig losging, stand für sie fest. Klaras bevorzugter Aufenthaltsort wurde die Außentreppe. Hinter Kieferzweigen
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