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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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leicht gerädert, gingen wir als Erstes ins Natural History Museum. Ich wollte Katya dabeihaben - ein zweites Augenpaar konnte in diesem Fall sehr nützlich sein.
    Wir mussten ungefähr eine halbe Stunde warten, bis Geraldine, die Bibliothekarin, uns das Bild brachte - das Bild des geheimnisvollen Vogels von Ulieta, entstanden an dem Tag, an dem er zuletzt lebend gesehen wurde, noch frisch und markant, vollkommen ahnungslos, was seinen merkwürdigen Platz in der Geschichte anging. Katya betrachtete das Bild noch einmal und sah dann zu mir auf.
    »Er ist so unscheinbar, findest du nicht? Als du mir das erste Mal von ihm erzählt hast, hab ich mir was richtig Exotisches vorgestellt. Du weißt schon, leuchtende Farben, prächtiges Gefieder und so.«
    »Ich weiß. Er ist einfach ein kleiner brauner Vogel. Nichts Besonderes, oder? Aber wenn man genauer hinschaut, ändert sich das. Siehst du’s? Die Schönheit steckt im Detail.« Wir ließen unsere Augen staunend über all die Feinheiten der Form und Zeichnung wandern, die den Vogel schön und einzigartig machten, und begannen, sie uns einzuprägen. Ich versuchte es mit einer Zeichnung, und beide notierten wir uns die Schattierungen jedes Farbtons, um uns später daran erinnern zu können. Wir taten, was wir konnten, um das Bild unserem Gedächtnis einzubrennen: Wir maßen und repetierten, und dann schlossen wir die Augen und versuchten, uns zu erinnern.
    »Würdest du das Original erkennen, wenn du’s jetzt sehen würdest?«, fragte ich Katya schließlich. Sie nickte feierlich.
    »Ja. Ganz bestimmt.«
    »Die Farben werden im Lauf der Jahre natürlich verblasst sein, das müssen wir einkalkulieren. Stell dir dieses Kastanienbraun viel heller vor und die Flügel dort, wo sie der Sonne ausgesetzt waren, ausgebleicht. Die Augen werden auch anders aussehen - Glas aus dem achtzehnten Jahrhundert, das mit der Zeit trübe geworden ist.«
    »Und du? Hast du das Bild klar im Kopf?«
    »Klarer wird’s nicht mehr werden. Komm, gehen wir.«
    Draußen trennten sich unsere Wege. Wir standen in der Spätherbstsonne, und die Busse in der Cromwell Road ließen das dürre Laub um unsere Füße wirbeln.
    »Viel Glück«, sagte Katya lächelnd.
    »Danke.« Ich lächelte zurück, befangen, unsicher, wie so ein Abschied zwischen uns vonstatten gehen sollte. Schließlich nickte ich nur etwas dümmlich und winkte ihr im Weggehen zu.
    Ich hatte vor, mich für den Rest des Nachmittags ans Telefon zu hängen und Leute um einen Gefallen zu bitten, aber erst brauchte ich Geld. Ich suchte einen Geldautomaten und hob die höchstmögliche Summe ab. Die Sache würde teuer werden.
    Katya ging als Erstes noch einmal in das Londoner Archiv, wieder auf der Spur von Miss B., nur dass sie diesmal wusste, nach welchen Namen sie suchen musste. Trotzdem war es nicht einfach. Als sie mich am Mittag anrief, hatte sie noch rein gar nichts gefunden.
    »Macht nichts«, sagte ich. »Es ist ja nur der Ordnung halber. Damit das auch erledigt ist. Viel wichtiger ist, dass du rechtzeitig wieder in Lincoln bist, damit die anderen nicht zu neugierig werden.«
    Zwei Stunden später rief sie noch einmal an, und diesmal sprach sie abgehackt, bemüht, ihre Aufregung durch knappe Effizienz in Schach zu halten.
    »Ich hab sie gefunden«, sagte sie. »Sie hat das Kind südlich des Flusses taufen lassen. Aus Diskretion vielleicht.«
    »Was steht da?«
    »Sophia, Tochter des verstorbenen Joseph Burnett und seiner Frau Mary. September 1773.«
    »Dann hat sie also angegeben, der Vater sei tot? Wahrscheinlich, um den richtigen Joseph rauszuhalten.«
    »Und du? Wie läuft’s bei dir?«
    Ich überlegte. »Ich glaube, ich werde das meiste kriegen, was ich brauche. Schamlos, wirklich. Ich probiere es bei Leuten, die ich jahrelang nicht mehr gesehen habe. Aber die meisten sind sehr großzügig. Das Problem ist, dass ich morgen fast den ganzen Tag herumfahren und Geld einsammeln muss. Nach Bristol, dann nach Dorset und auf dem Rückweg noch in ein paar andere Orte.«
    »Reicht dir die Zeit?«
    »Ich weiß nicht. Wenn ich’s nicht schaffe, bekommt Anderson Wind von der Sache und fegt uns vom Platz. Du musst schnell nach Lincoln, um zu verhindern, dass er seine Nase da reinsteckt.«
    »Ich fahr gleich los.«
     
    Wie durch ein Wunder brachten die öffentlichen Verkehrsmittel Katya so rechtzeitig wieder nach Lincoln zurück, dass es noch für einen Drink vor dem Abendessen reichte. Als Erstes aber machte sie an der Rezeption Halt, um

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