Die Pflanzenmalerin
Stunden wird meine Reise nun allen Ernstes beginnen, und wir, die wir uns entschlossen haben, uns auf dieses Unternehmen einzulassen, sind uns der Risiken, die wir eingehen, nur allzu bewusst. Es ist durchaus möglich, dass wir uns nie wieder sehen werden. Ich möchte Ihnen für das Vergnügen Ihrer Gesellschaft während meiner letzten Tage in Revesby danken und Ihnen für die Zukunft alles Gute wünschen.
Der Ihre,
Joseph Banks.
Achtzehn Tage lag der Brief noch immer auf dem Pult in seiner Kabine, und er zerriss ihn jäh. An diesem Abend schien es ihm, als hätte seine Reise erst jetzt wirklich begonnen. Das Meer war tiefblau, und der Wind trug keinen Hauch des Landes mehr heran. Es war ein Abend von unendlicher Klarheit, und als er an den Bug des Schiffes trat, spürte er, wie das gewaltige Himmelsgewölbe ihn umfing. Die Luft lag warm auf seiner Haut, die Sterne strahlten hell, und als er so dort stand, glitt eine schwere Bürde der Verantwortung von seinen Schultern. Mit einem Mal fühlte er sich frei, glücklich zu sein.
Langsam schwand das Licht, und er blieb, bis das Blau zu Schwarz geworden war und der Himmel am Horizont mit dem Meer verschmolz. Dann ging er nach unten, entzündete seine Lampe und verfasste einen zweiten Brief.
»Heute war das Meer grün«, schrieb er, »für einen Augenblick nur, im Morgenlicht, ein tiefes Grün, wie man es vom Land aus niemals sieht. Über den Wogen, hoch in den Lüften, ein einzelner Mauersegler. Es erstaunte mich, ihn so weit von festem Land entfernt zu sehen. Es war, als winkte er allem, was mit dem Land zu tun hat, ein letztes Lebewohl zu.
Ich finde hier wenig Zeit, an Revesby zu denken, doch wenn ich es tue, stimmt mich die Art und Weise unseres Scheidens traurig. Am traurigsten aber macht es mich, dass Sie diesen Himmel nicht sehen können. Die Farben scheinen sich mit den dahinziehenden Wolken ständig zu verändern, und der Mond geht auf. Sie würden den Wunsch verspüren, diesen Himmel zu malen.«
Als er Geräusche vor seiner Tür vernahm, hielt er mit dem Schreiben inne. Der Brief blieb unvollendet.
7
Im Museum
Am nächsten Vormittag trafen Katya und ich uns zu einer Besprechung im Café des Natural History Museum. Katya sah hübsch aus mit ihren Jeans, den Turnschuhen und dem zurückgebundenen Haar, ich selbst wirkte in meiner alten Jacke etwas verlottert. Das Natural History Museum hieß uns jedoch beide gleichermaßen willkommen, und wenn irgendjemand fand, wir seien ein seltsames Paar, so ließ er es sich nicht anmerken. Links von uns ragten die Überreste eines gigantischen Riesenfaultiers schweigend über Gruppen von Schulkindern auf. Viele Stockwerke weiter oben lag in sicherem Grabesdunkel der erste jemals gefundene Archäopteryx unbeholfen in seinem steinernen Bett. Wir beugten uns über unsere Becher mit schaumigem Kaffee und ignorierten beide.
Am Morgen waren wir uns im Flur über den Weg gelaufen, als Katya gerade zu einer Vorlesung wollte. Zu meiner eigenen gelinden Überraschung begann ich ihr von Hans Michaels’ Witwe zu erzählen. Bis dahin hatte ich meinen Besuch bei ihr als mein Geheimnis betrachtet, doch als ich Katya sah, überlegte ich es mir anders. Ich hatte mir vorgestellt, die Suche nach dem Ulieta-Vogel würde darin bestehen, Listen durchzusehen, Gerüchten nachzugehen und Telefonate zu führen, aber durch Hans Michaels’ Zeichnung hatte sich das geändert. Jetzt stand ich vor einem Rätsel. Wahrscheinlich wollte ich einfach, dass mir jemand half.
Der Vorschlag, uns im Museum zu treffen, kam von Katya. Die Idee gefiel mir - das Museum war einer meiner Lieblingsplätze, elegant und luftig und bis unters Dach voller Wunder. Bei der Vorstellung, alles mit ihr durchsprechen zu können, wurde mir wohler.
Als Erstes berichteten wir einander, was wir herausgefunden hatten - die Kernpunkte des Falles, wenn man so will. Das würde nicht allzu lange dauern, nahmen wir an, denn viele solcher Punkte hatten wir nicht. Doch dann steckten wir die Köpfe zusammen und fingen mit dem jungen Joseph Banks an. Ein gutes Thema - Banks war mondän, charmant, sah blendend aus und war der führende Naturwissenschaftler seiner Generation. Ach ja, und er war reich. Mit achtundzwanzig war er bereits mit Kapitän Cook um die Welt gereist und zum Liebling der Gesellschaft avanciert, er wurde von diversen Müttern heiratsfähiger Töchter ins Visier genommen, Joshua Reynolds hatte ihn porträtiert, und er war eines der tonangebenden Mitglieder der
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