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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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Abend jemand den Text gelesen hatte. Aber warum hätte er das tun sollen? Ich besaß die neueste Taschenbuchausgabe, und die konnte man sich jederzeit besorgen.
    Ich nahm das zweite Buch zur Hand: Seltene Vogelarten von R. A. Fosdyke. Fosdyke war schrullig, wo Greenway wissenschaftlich war, und nachlässig, wo Greenway exakt war. Fosdyke war ein Amateur gewesen, dessen Hobby in den Sechzigerjahren darin bestanden hatte, in alten wissenschaftlichen Zeitschriften nach Erwähnungen seltener und ausgestorbener Vögel zu suchen. Das Buch erhob keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber jeder, der sich ernsthaft mit dem Thema befasste, besaß es, denn Fosdyke spürte ab und zu eine Quelle auf, die niemand sonst kannte.
    Ich hielt das Buch ins Licht und schlug es vorsichtig auf. Es war eine Erstausgabe, von Fosdyke kurz vor seinem Tod signiert. War eine signierte Erstausgabe etwas wert? War sie einen Einbruch wert? Offensichtlich nicht, denn sie war noch da, sauber, aber ganz und gar vorhanden. Fosdyke führte zwei Verweise auf den Vogel an - dieselben wie Greenway - und beschränkte sich auf dieselbe Schlussfolgerung: zuletzt gesehen in der Sammlung von Sir Joseph Banks.
    Müde klappte ich das Buch wieder zu. War das der Anhaltspunkt, der Anderson so beschäftigte? Wenn ja, dann war es ein enttäuschender Anhaltspunkt. Die beiden Einträge bildeten die Summe meines Wissens und boten keinerlei Hilfe, außer vielleicht einen vagen Hinweis darauf, wo man anfangen musste: bei Joseph Banks, dem Naturforscher, irgendwann im späten achtzehnten Jahrhundert.
    Es war schwül und drückend in London nach den schattigen Wäldern von Revesby, doch Banks war zu sehr auf die Dinge konzentriert, die vor ihm lagen, als dass er es wahrgenommen hätte. Seine Zeit war mit den praktischen Belangen seiner Abreise ausgefüllt, deren Erfordernisse von so großer Dringlichkeit waren, dass die stehende Hitze in den Straßen ihn kaum hemmte. Während seiner Tage in Revesby waren gewisse Angelegenheiten nicht in der gewünschten Weise vorangeschritten, und zudem mussten Rechnungen bezahlt, Gespräche mit Handwerkern geführt, Vorräte beschafft und zahllose Briefe geschrieben werden.
    Wenige Tage nach seiner Rückkehr wurde seine Verlobung mit Harriet Blosset beschlossen. Er hatte sie erst vor einigen Monaten kennen gelernt, und seine Liebelei mit ihr war nicht über das Maß des Alltäglichen hinausgegangen. An dem Tag aber, an dem seine Teilnahme an Cooks Expedition erstmals ernsthaft erörtert wurde, sollte er bei ihrer Anstandsdame vorsprechen, und als er dann im Garten mit ihr allein war, sah er sie plötzlich mit anderen Augen. Es war, als hätte die bevorstehende Reise seinen Blickwinkel verändert, als sehe er die Dinge jetzt klarer. Als sie sich vorbeugte, war er hingerissen von der außerordentlichen Schönheit weiblicher Gestalt, von der Vollkommenheit der Linie ihres Halses bis hinab zur Schulter. Sie ging vor ihm, und er bestaunte ihre schmale Taille und ihre grazilen Arme und Hände, als hätte er dergleichen nie zuvor gesehen. Dann blickte sie ihn an, und er gewahrte ein Flehen in ihren Augen, das ihn bewog, ihre Hand zu ergreifen. Dass ein solch vollkommenes Wesen ihn in dieser Weise ansah, erschien ihm wie ein Wunder.
    Im Rosengarten küsste er sie, und sie errötete bis auf die Schultern hinab. Ihre Hand schloss sich um seine, und dann erwiderte sie seinen Kuss, inbrünstiger und länger als zuvor. Schließlich fasste sie ihn an der Hand, mit einem Mal ausgelassen lachend, und zog ihn zum Haus hin, und es schien, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. Als er später, nachdem er in seine Räume zurückgekehrt war, an sie dachte, wallte Zärtlichkeit in ihm auf, und er staunte, dass es in seiner Macht lag, solches Glück zu schenken.
    Er wusste sehr wohl, welche Erwartungen sein Brief aus Revesby in ihr geweckt hatte. Als seine knappe Zeit es ihm endlich gestattete, ihr seine Aufwartung zu machen, fand nur ein kurzes Gespräch statt. Sie war erregt, aber beherrscht, und in ihrem Kuss lag ein kindlicher Überschwang, der ihn anrührte. Er kam sich weise und ein wenig väterlich vor, als er wieder ging. Die Verlobung sollte erst nach seiner Rückkehr bekannt gegeben werden, wenn es in angemessener Weise möglich war. Doch wer die beiden zusammen sah, fand Harriet sehr verliebt. Ihr blondes Haar und die runden blauen Augen zogen die Blicke Fremder auf sich, und sie lachte fröhlich, wenn sie an seinem Arm dahinschritt. Entfernte er sich

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