Die Pflanzenmalerin
wir reingehen und zuhören?«, fragte ich Katya.
»Ach, das ist nicht so mein Ding.« Sie legte ihre Hand auf meine Schulter. »Aber mach nur, wenn du möchtest. Ich geh ins Hotel zurück, unter die Dusche, zum Aufwärmen. Wir treffen uns dann in der Bar.<
Also ging ich allein hinein, saß im Dämmer des schwach erleuchteten Kirchenschiffs und ließ mich von der Musik einhüllen. Es war kein Gottesdienst, der Organist übte nur für die Abendandacht. Als ich wieder auf die Straße trat, fühlte ich mich entspannt und beruhigt und freute mich auf ein Glas Wein in der Hotelbar. Doch was ich sah, als ich dort eintraf, hatte ich nicht erwartet. In einer Ecke nahe dem Kamin hatte es sich Karl Anderson in einem der großen Ledersessel bequem gemacht. Ihm gegenüber, elegant und makellos in einem engen roten Kleid, saß Gabriella. Und zwischen ihnen reckte fast beiläufig eine Champagnerflasche ihren Hals aus einem großen silbernen Sektkübel.
Es war ein Winter der Träume und des Vergessens. Ende November fiel in Richmond Schnee, und er blieb bis Februar liegen, ein weißer Mantel, der sich über ihre Vergangenheit breitete und die Gegenwart umhüllte. Banks kam zu Pferde, eine dunkle Gestalt gegen das Weiß, und in den Falten seines Umhangs wurde der Schnee zu Eis. Im Haus knisterte das Feuer, die Luft war erfüllt vom Duft nach Glühwein. Traf er in der Abenddämmerung ein, brannten die Lampen schon für ihn, die Fenster leuchteten ihm rot entgegen, und in dem grünen Schlafzimmer färbten eine einzelne Lampe und das Kaminfeuer die rostroten Tapeten bernsteinfarben. Das Haus erschien ihm zeitlos, eingehüllt in Winter und Rauch, als könnte nichts, was in der Welt draußen geschah, dies je ändern. Es war ein langsamer Ritt von der Stadt hierher, die Straßen verschneit, seine Hände an den Zügeln taub, und doch genoss er ihn. Am Ziel angelangt, fühlte er sich frisch und rein, bereit für das Willkommen, das ihn erwartete. Wenn er tagsüber durch Sonne und blendendes Weiß trabte, Kinder auf zugefrorenen Teichen Schlittschuh laufen und alte Frauen Feuerholz sammeln sah, verfiel er in eine Art Rausch, so als würde er jedes Gesicht, das er erblickte, ein wenig lieben.
Sie hielt nie nach ihm Ausschau, aber bald waren ihr die Geräusche seiner Ankunft vertraut. Erst das Klirren des Zaumzeugs, dann ein Junge, der herbeigelaufen kam, um sein Pferd wegzuführen, dann Schritte, ein energisches Klopfen und das Mädchen, das zur Tür eilte. Darauf vernahm sie auch seine Stimme - undeutlich stets, aber tief und fröhlich. Bis zu diesem Augenblick setzte sie ihre Tätigkeit fort, dann legte sie ihre Sachen nieder, um aufstehen und ihn begrüßen zu können, wenn er eintrat. Am schönsten aber war seine Ankunft in tiefer Winternacht, wenn sich das Haus schon zur Ruhe begeben hatte. Dann war er bei einer Londoner Abendgesellschaft plötzlich aufgestanden, hatte sich entschuldigt und war nach Hause zurückgekehrt, wo er zur Bestürzung seiner Stallknechte ein Pferd verlangte. Manchmal schlief das ganze Haus schon, wenn er nach Richmond kam, und das Feuer war nur noch ein orangefarbener Schein im Fenster. Sie hörte Martha brummend zur Tür stapfen und ihn zum Schweigen bringen, wenn er sprechen wollte, und dann regte sie sich lächelnd und schlief wieder ein, bis sich knarrend ihre Tür öffnete. Mit geschlossenen Augen schlug sie ein Ende der Decke zurück und wartete, noch halb träumend, bis er sich die Hände am Feuer gewärmt hatte. Oft wachte sie tief in der Nacht auf und fand ihn schlafend an sie geschmiegt. Dann dachte sie voll Freude an den Morgen und schlief lächelnd wieder ein.
Kam er bei Tage, schob sie jeden Gedanken an ihre Arbeit beiseite, und sie verbrachten den Nachmittag am Feuer oder wanderten durch die froststarren Wälder, redeten von Dingen, die nicht so wichtig waren wie das Reden selbst. Manchmal waren es geistvolle Gespräche über Ideen, die alle Grenzen der Realität weit hinter sich ließen. Dann wieder unterhielten sie sich über Dinge, die sie zum Lachen brachten, aus Gründen, die sie sich später nie erklären konnten. Die Bäume und Felder ringsum, selbst die Wege mit ihren Räderfurchen, lagen leblos da und warteten auf den Frühling, um ihre Uhren wieder aufzuziehen. In dieser Zeit der Wintersonnenwende vergaß sie die Vergangenheit, die sie hierher gebracht hatte, und alle Zukunftsängste.
Für ihn war es, als tilgte der Schnee die Flecken der Vergangenheit, alles, was sein
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