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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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eine Kutsche in den wimmelnden Hof der Bell Post, einer gut besuchten Kutschstation eine halbe Tagesreise von London an der Straße nach Bath. Es war eine einfache Kutsche, und der Bediente, der vom Bock sprang, um den beiden Insassen herauszuhelfen, trug keine Livree. Sie waren gut, wenn auch unauffällig gekleidet. Niederer Landadel, dachte der Wirt, der sie begrüßte und in ein Privatzimmer führte. Ihre Kleider sagten ihm mehr als ihre Gesichter, und er war zu beschäftigt, um die Besorgtheit des einen und die Blässe des anderen zu bemerken. Die Frau, die ihnen aufwartete, schaute genauer hin, doch ihre Aufmerksamkeit galt dem Größeren der beiden. Ein gut aussehender Mann, dachte sie, mit gefälligen Manieren und schönen Augen. Ganz auf ihn konzentriert, beachtete sie seinen schlanken, schweigsamen Begleiter kaum, sonst hätte sie sich vielleicht über seine feinen Züge gewundert. Auch der Junge aus der Schankstube, der herbeieilte, um ihnen die Tür aufzuhalten, als sie wieder aufbrachen, achtete kaum auf all die Reisenden, die täglich kamen und gingen, erinnerte sich aber noch lange an die Goldmünze, die ihm in die Hand gedrückt wurde.
    Niemanden kümmerte es, dass die Kutsche, als sie abfuhr, wieder die Straße nach London nahm, von wo sie gekommen war.
     
    Sie wusste von Anfang an, dass sie sich etwas vormachten. Ihre Versuche waren allzu einfach, allzu abhängig von der Gedankenlosigkeit anderer. Weitere Ausflüge folgten dem ersten, und das Ergebnis war stets das Gleiche. Sie musste niemanden täuschen - man beachtete sie gar nicht. Das mochte für die Fahrt nach Madeira genügen, auf der ein ruhiger Reisender, der in seiner Kabine blieb, unter den vielen anderen nicht auffallen würde. Von einer gelegentlichen Essensbestellung abgesehen, würde sie kaum sprechen müssen. Und für die Mannschaft eines voll besetzten Schiffes, so versicherte ihr Banks, waren selbst seekranke Passagiere etwas zu Alltägliches, als dass sie Neugier erregt hätten. Solange ihre Passage bezahlt war und sie keinen Ärger machte, würde man sie mehr oder weniger ignorieren.
    Auf Madeira aber, das wusste sie, würde es anders sein. Er wollte ihr Briefe an eine englische Familie mitgeben, die sich zwangsläufig für ihren Gast interessieren würde. Selbst wenn sie ihre Tage damit zubrachte, in den Hügeln zu botanisieren, könnte sie nicht verhindern, dass man Vermutungen über sie anstellte. Tief im Innern wusste sie, dass der Plan nicht gelingen konnte, und sie zitterte bei dem Gedanken an eine schmähliche, demütigende Entdeckung. Doch in welcher Form? Durch Empfehlungsschreiben geschützt, würde sie gewiss nicht öffentlich entlarvt werden. Wer etwas ahnte, würde es ihr nicht ins Gesicht sagen, sondern eher mit anderen darüber reden. Die Vorstellung, solchermaßen der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden, schockierte sie, aber was konnte sonst schon passieren? Scheiterte sie auf der ganzen Linie, würde sie, wieder inkognito, mit dem nächsten Schiff nach London zurückkehren. Banks würde sie dann keinen Schaden zugefügt haben. Und bis es so weit war, würde sie schon viel Neues gesehen, eine fremde Pflanzenwelt studiert und Zeichnungen angefertigt haben, die ihr niemand mehr nehmen konnte.
    Selbst wenn man sie auf Madeira zunächst nicht entlarvte, dann spätestens, wenn die Resolution eintraf. Cook würde sich nicht täuschen lassen; seinen Scharfblick hatte Banks stets gerühmt. Irgendwann würde er die Wahrheit erfahren, und was dann? Trat dieser Fall gleich zu Beginn ein, konnte sie sich errötend davonstehlen, Joseph konnte sich rehabilitieren und die Reise fortsetzen. Er konnte den Vorfall mit einem Lachen abtun, und am Ende der dreijährigen Reise würde er vergessen sein. Doch was, wenn alles erst auf hoher See herauskam? Konnte sie mit diesem Gedanken leben? Die Demütigung würde kaum zu ertragen sein, und an ein rasches Entkommen wäre nicht zu denken. Aber so schrecklich es auch werden mochte - sie würde an Bord sein, wenn das Schiff den Äquator überquerte, wenn es in Rio de Janeiro einlief. Bestand Cook darauf, dass sie dort von Bord ging, würde sie dennoch Träume gelebt haben, an deren Verwirklichung sie nie zu glauben gewagt hätte.
    Und noch etwas war da, ein Gedanke, so erregend, dass sie ihn Banks gar nicht erst zu erklären versuchte: Von London bis Madeira und auf der Insel selbst würde sei allein unterwegs sein. Ohne Anstandsdame und ohne Gefährten. In allem würde sie auf sich

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