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Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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Problem. Weil er deshalb vorauszusehen war. Aber, verdammt, für das Flüstern war ja
alles
vorauszusehen. Wie hatte Paigeganz richtig angemerkt: Selbst der Versuch, etwas Unvorhergesehenes zu unternehmen, war für dieses Ding vermutlich vorauszusehen. Eine wahre Zickzack-Logik, von der er Kopfschmerzen bekam. Er ließ das Anzugoberteil wieder in den Behälter fallen und fluchte leise vor sich hin.
    Wen hatte er anrufen sollen? Was hatte Paige gesagt?
    Er kauerte sich vor den Rucksack und nahm Paiges Handy heraus. Neben der neunten Nummer, die auf der Kurzwahlliste gespeichert war, stand kein Name. Er drückte auf die Neun und dann auf die Anruftaste.
    Nach dem ersten Läuten meldete sich ein Mann. «Ja, Miss Campbell, ich höre.»
    «Ich rufe in Miss Campbells Namen an», sagte Travis. «Ich heiße Travis Chase. Sie hat mich aufgefordert, diese Nummer anzurufen.»
    Der Mann am anderen Ende zögerte. Dann hörte Travis, wie jemand im Hintergrund etwas sagte, und es klang, als würde das Telefon an jemand anderen weitergereicht.
    Ein weiterer Mann meldete sich. Travis erkannte die Stimme auf Anhieb. «Mr.   Chase. Hier Richard Garner. Was geht da draußen bei Ihnen vor?»
    Richard Garner. Der Präsident der Vereinigten Staaten.

40
    In den vergangenen Tagen war Garner über alle Geschehnisse rund um Tangent auf dem Laufenden gehalten worden. Nun schilderte Travis ihm, was in der letzten halbenStunde vorgefallen war. Als er geendet hatte, blieb es am anderen Ende der Leitung zunächst still.
    Die Dunkelheit über der Wüste hellte sich allmählich auf. Weit weg, im Südwesten, glühte das erste Morgenrot auf den Gipfeln der Rocky Mountains.
    «Die Abwehranlagen sind derzeit außer Betrieb, sagten Sie?», sagte Garner schließlich.
    «Ja», antwortete Travis, «die Frage ist nur, wie lange noch. Nicht länger als zwanzig Minuten, würde ich sagen.»
    «So schnell können wir Ihnen keine Truppen schicken. Dazu reicht die Zeit nicht. Diese Option ist also schon mal vom Tisch   …»
    Bei seinem Tonfall wurde Travis mulmig zumute: Welche Optionen mochten sonst noch auf dem Tisch liegen? Falls er mit seiner Vorahnung richtiglag, verstand er auch, warum Paige ihn tatsächlich nach hier oben geschickt hatte, um diesen Anruf zu tätigen.
    Garner erklärte ihm, worin die andere Option bestand. Travis hatte richtig vermutet.
    «Herr Präsident», wandte er ein, «es befinden sich noch Überlebende in dem Gebäude.»
    «Dessen bin ich mir bewusst. Jetzt müssen wir vor allem die Interessen der Welt insgesamt im Auge behalten.»
    «Was ist mit den Entitäten, zumal den gefährlichen, die hier aufbewahrt werden? Wissen wir, wie die reagieren werden? Wie das Portal selbst reagieren wird?»
    «Nein», sagte Garner, «wissen wir nicht. Aber Szenarien wie dieses hier sind schon längst von Fachleuten, die über die relevanten Faktoren besser Bescheid wissen als Sie oder ich, in Betracht gezogen worden. Uns bleibt keine andere Wahl. Die Rakete wird aus einem Silo abgefeuert,das etwa zweihundert Meilen entfernt ist, sie wird Border Town also in weniger als fünf Minuten erreichen, nachdem ich den Befehl zum Abschuss gegeben habe. An Ihre eigene Sicherheit denken Sie vermutlich gerade gar nicht, aber falls Ihnen ein Fahrzeug zur Verfügung steht, könnten Sie es in der Zeit wohl schaffen, den Tötungsradius zu verlassen.»
    Travis blieb stumm. Nein, an seine eigene Sicherheit hatte er noch keinen Gedanken verschwendet. Auch jetzt stand sie für ihn nicht im Vordergrund.
    Stattdessen war ihm ein anderer Gedanke gekommen. Oder eher der Anflug eines Gedankens. Ihm fiel wieder ein, wie er sich in der Nacht daran zu erinnern versucht hatte, als er mit Paige in seinen Armen aufgewacht war. Irgendeine Verbindung, die er hergestellt hatte, eine Einsicht, die ihm im Halbschlaf gekommen war. Jetzt stieg sie wieder aus den Tiefen seines Unterbewusstseins auf.
    «Mr.   Chase?», fragte der Präsident.
    Travis antwortete nicht. Wenn er jetzt redete oder sonst etwas tat, das seine Konzentration störte, würde der Gedanke sich ihm wieder entziehen, uneinholbar, unwiederbringlich.
    «Mr.   Chase?»
    Weitere Sekunden vergingen. Ganz nahe. Direkt am Rande seines Bewusstseins.
    «Travis», sagte Garner.
    Da stand es ihm klar vor Augen. Deutlich wie das Bild auf einem Monitor. Er begriff, was es zu bedeuten hatte. Und wie wichtig das war.
    Zugleich keimte Hoffnung in ihm auf. Hoffnung, dass das Flüstern letzten Endes doch besiegt werden konnte.

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