Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
Vom Netzwerk:
dem Handydisplay erkennenkonnte. Keene rief nach dem Brecheisen, das ihm umgehend gebracht wurde, und kratzte mit dem Ende den körnigen Mörtel aus den Fugen rund um die Fliese, bis eine ausreichend große Lücke entstanden war. Dann schob er das Eisen hinein und stemmte, bis die Platte gleich darauf mit einem Knirschen nachgab – und mit einem Zischen, als würde ein Siegel erbrochen. Hände schoben sich ins Bild und hoben die Platte beiseite, unter der ein schmaler Schacht mit eingebauten Klettersprossen zum Vorschein kam, die nach unten ins Dunkel führten.
     
    Eine Minute später befand sich das Team in der Kammer unterhalb des Pools. Sie war größer, als Travis vermutet hatte, mindestens zwölf mal zwölf Meter, erstreckte sich also bis unter das Haus selbst. Die Decke war kreuz und quer von dicken Stahlträger durchzogen, die alle paar Meter auf stabilen Pfeilern ruhten.
    Ansonsten aber sah er seine Vermutungen bestätigt: Der Raum sah aus wie ein Computerlabor. Einzelne Arbeitsplätze. Auf Schreibtischen ausgebreitete Schaltpläne. Drehstühle überall. Ein improvisierter Konferenztisch, bestehend aus mehreren zusammengeschobenen Tischen, um den weitere Stühle herumstanden.
    Aber kein Quantencomputer.
    Nichts, was dem auch nur annähernd ähnelte. Auf einigen Schreibtischen befanden sich Laptops, die die Tangent-Leute einen nach dem anderen anschalteten. Auf den Bildschirmen leuchteten die bekannten Programmsymbole auf, dann wurde nach dem Passwort gefragt, das Übliche also.
    Sonst befanden sich keine weiteren Geräte in dem Raum.
    Travis’ Verwirrung war grenzenlos, wie schon mehrmals, seit seine Wandertour in der Brooks Range eine so abrupte Wendung genommen hatte. Wie konnte sich dieses Gerät nicht dort befinden? Warum hatte das Flüstern all diese Leute umbringen lassen, wenn sie gar nicht über etwas verfügten, das ihm gefährlich werden konnte?
    Keenes Kamera schweifte ein letztes Mal durch den Raum, als er sich umwandte, um seinen Leuten die Leiter hinauf zu folgen.
    «Warten Sie», sagte Travis.
    Die Kamera machte halt.
    «Was ist?», fragte Keene.
    «An der Wand über dem Konferenztisch. Was ist das?»
    Keene schaute hinüber. Trat näher heran. An der Wand hing ein riesiges abstraktes Gemälde, dunkelgrünes Gekritzel auf weißem Hintergrund.
    «Nichts», sagte Keene.
    «Irrtum», sagte Travis. «Das ist von höchster Bedeutung.»
    Er überflog die Menütasten auf dem Handydisplay, bis er eine mit der Aufschrift STANDBILD fand.
    «Tun Sie mir einen Gefallen», sagte Travis und forderte Keene auf, dichter heranzutreten. Dann dirigierte er ihn vor dem Gemälde umher, um mit der Kamera Aufnahmen von allen vier Bildvierteln machen zu können. Aus dieser Entfernung wurde es leserlich.
    Eine Botschaft vom Flüstern, verfasst in der Geheimschrift. Travis wechselte zwischen den Standbildern hin und her, um sie zu lesen.
     
    Hallo, Travis. Du dürftest jetzt gerade neben dem offenen Aufzugschacht oberhalb von Border Townsitzen, etwa neunzig Sekunden vor Sonnenaufgang. Ich habe dafür gesorgt, dass Aaron Pilgrim sich nicht daran erinnert, dieses Bild gemalt zu haben. Er weiß auch nicht mehr, dass er es an die Galerie verkauft hat, die Ellis Cook eines Tages aufsuchen sollte, als er sich mit seiner Tochter gerade in Zürich aufhielt. Leider muss ich dir mitteilen, dass es im Juni 2009 weder hier auf diesem Anwesen noch sonst wo auf der Welt einen Quantencomputer mit über zehn Qubits gibt. Die Qubit-Bruderschaft hat ihr Ziel nie auch nur annähernd erreicht. Es mag dir übertrieben erscheinen, über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren siebenunddreißig Menschen umbringen zu lassen, nur damit du einen Grund hast, den Präsidenten vor zwanzig Minuten von einem Atomangriff auf Border Town abzuhalten. Aus meiner Sicht aber war das nur logisch und folgerichtig. Wenn du diesen Satz zu Ende gelesen hast, wird das Boden-Luft-Abwehrsystem von Border Town wieder voll aktiviert und die nukleare Option damit hinfällig sein. Es bleibt dir also nichts übrig, als deiner ersten spontanen Eingebung zu folgen: Tarne dich mit dem Unsichtbarkeitsanzug und schalte dann Pilgrim und seine Leute aus. Wenn dir das gelingt (es wird dir gelingen), verspreche ich dir eines: Dann bleibt Paige Campbell am Leben. In allen anderen möglichen Zukunftsszenarien stirbt sie in etwa elf Minuten, von jetzt an gerechnet. Wir sehen uns bald wieder, alter Freund, und dann wirst du erfahren, worum es hier eigentlich wirklich geht.
    Viel

Weitere Kostenlose Bücher