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Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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ganze Welt betraf. Etwas, das diesen Leuten hier eine Heidenangst einjagte.
    Gleich darauf bog der Jet auf seine Startbahn ein und hielt kurz an, während die Turbinen in die höchste Drehzahl wechselten. Nachdem sie abgehoben hatten, wurde Travis ins Verhör genommen.
    Fünfmal schilderte er fünf verschiedenen Personen, was er erlebt hatte, angefangen damit, dass er auf das Wrack der 747, Box Kite, gestoßen war. Warum er seine Geschichte so oft wiederholen musste, war klar. Man wollte feststellen, ob er sich in Widersprüche verwickelte, weil er die Unwahrheit erzählte. Aber das passierte ihm nicht. Das Einzige, was er ihnen verschwieg, war der Teil, der ihm entfallen was: die inzwischen einem nahezu vollständigen Gedächtnisverlust zum Opfer gefallenen Minuten, die er mit dem Flüstern verbracht hatte.
    Er erzählte ihnen von dem unsichtbaren Angreifer, der nun in dem Tal leblos über dem hinabgebogenen Ast der Kiefer hing, eine Kunde, die bei den Leuten, die ihn befragten, helle Freude auslöste. Sie nahmen telefonisch Kontakt zu den Mannschaften auf, die das Tal inzwischen gesichert hatten, und übermittelten ihnen genaue Angaben, wo der Leichnam zu finden war. Beim Gedanken daran, in was für eine Panik die Männer des ersten Einsatzkommandos in den letzten Minuten ihres Lebens verfallen waren, fragte sich Travis, wie lange Tangent wohl schon mit dieser speziellen Bedrohung hatte fertigwerden müssen.
    Dann erzählte er ihnen von der Adresse, die das Flüsternihm genannt hatte und an die er sich nicht mehr erinnern konnte. Die Adresse, die irgendwie deutsch geklungen hatte.
    «Theaterstraße sieben», sagte der erste Mann, der ihn verhörte. Weniger eine Frage, mehr eine Feststellung.
    Travis nickte trotzdem. Genau, das war die Adresse.
    Er bekam mit, wie diese Information nach vorne durchs Flugzeug weitergereicht wurde. Worauf sich unter den Anwesenden nach und nach betretenes Schweigen breitmachte.
     
    Nach der fünften Vernehmung ließ man ihn endlich schlafen. Geweckt wurde er schließlich vom Geräusch der Reifen, die auf festem Boden aufsetzten. Als Nächstes folgte eine Fahrt über einige hundert Meter holpriges Gelände in einem offenen Jeep, durch prallen Sonnenschein, der das schwarze Gewebe des Sacks erwärmte, der nach wie vor über seinen Kopf gestülpt war. Der drückend warmen Luft nach zu urteilen, befanden sie sich anscheinend in einer Wüste. Hinter ihnen machte sich der Jet mit aufheulenden Turbinen bereits wieder startklar. Am Ende der Holperstrecke rollte der Jeep über glatten Bodenbelag, außerdem herrschte hier Schatten. Dann folgte eine zehn Sekunden lange Fahrt in einem Aufzug. Zehn Sekunden, in denen sie abwärtsfuhren.
     
    «Sie können ihm den jetzt abnehmen. Und die auch.» Die Stimme einer Frau. Heiser und leise, als hätte sie sich am Vorabend bei einem Rockkonzert die Seele aus dem Leib geschrien.
    Die Fesseln an seinen Handgelenken wurden gelöst, und als man ihm den Sack abnahm, stellte er fest, dasser sich in einem fensterlosen Büro befand – und Paige Campbell vor ihm stand. Die Adern in ihrem rechten Arm waren noch immer leicht verfärbt, sie war weiter blass im Gesicht und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Aber sie war auf den Beinen und machte einen stabilen Eindruck, atmete wieder ganz normal. Vor vielleicht zehn Stunden, je nachdem, wie lange Travis im Flugzeug geschlafen hatte, war sie noch annähernd halbtot auf einer Trage aus dem Rasthof getragen worden.
    Die anderen verließen den Raum. Jetzt war er mit ihr allein.
    Sie folgte seinem Blick, der auf ihrem Arm ruhte, auf der jetzt vernähten Schnittwunde quer über ihren Trizeps, die aus ihrem Ärmel hervorlugte. Irgendein Präparat, das farblich und von der Konsistenz her an Teer erinnerte, war auf die Wunde aufgetragen worden, vermutlich auch im Wundinneren. Die Schwellung ringsherum war so gut wie verschwunden.
    «Sie werden hier eine Menge seltsamer Dinge sehen», sagte sie. Etwas leiser fuhr sie fort: «Ich habe auf einer Karte gesehen, wie weit Sie mich getragen haben. Vielen Dank.»
    Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Also nickte er bloß und überlegte, was sie inzwischen noch alles gesehen haben musste. Sein Strafregister. Die Einzelheiten dessen, wofür er verurteilt worden war. Womit vermutlich das Verdienst, das er sich bei ihr erworben haben mochte, mehr als zunichtegemacht wurde.
    «Entschuldigen Sie Ihre Behandlung an Bord der Maschine», sagte sie. «Wir gehen nun mal methodisch

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