Die Pforte
pulsiert noch einige Sekunden im Takt seines Herzschlags. Dann verändert es sich. Wird irgendwie dunkler. «
Ich bin aus einem bestimmten Grund hier. Um dir etwas zu geben
», sagt Emily. «
Nichts Großes. Stell es dir als kleinen Stups vor. Eine Anregung dafür, wo du gerne leben würdest, wenn du erst hier herauskommst
.»
Als sie verstummt, spürt Travis etwas in seinem Kopf. Ein Kribbeln. Nur ganz kurz, dann hört es wieder auf.
« So », seufzt Emily. «
Jetzt bist du auf dem richtigen Kurs, mein Liebling. Auf dem richtigen Kurs, um mich wieder zu treffen
.»
Wieder kommen ihm unwillkürlich die Tränen. Sie wird ihn jetzt verlassen. Dann ist er wieder ganz allein hier. Allein mit dem flackernden Neonlicht, mit den Kopfschmerzen, mit den hässlichen blauen Wänden. Und sonst nichts. Noch Jahre und Jahre und Jahre.
«
Sch
», sagt sie ruhig, «
es wird alles gut. Eines Tages lachen wir zusammen über das hier, versprochen
.»
Aber ihm ist gerade überhaupt nicht nach Lachen zumute. Dieser Moment ist so unbeschreiblich wundervoll. Aber auch ganz fürchterlich, weil er gleich wieder endet.
«
Jetzt gib mich dem grinsenden Trottel zurück, Travis
.»
Er kann sich ihr nicht widersetzen, das weiß er. Spürt bereits, wie sich sein Körper nach vorn verlagert, wie aus eigener Kraft. Spürt, wie sich seine Beinmuskeln anspannen, um aufzustehen, und wie sich sein Arm ausstreckt, um sie dem Mann zurückzugeben.
«Bitte», flüstert Travis, als könnte er sie irgendwie dazu überreden, es sich anders zu überlegen.
«
Bald
»
, sagt sie.
Er fragt sich, ob er in den Jahren, die er hier noch absitzen muss, je wieder an etwas anderes wird denken können als an sie. Sie pulsiert ein letztes Mal in seiner Hand.
«
Schon heute Abend wirst du überhaupt nicht mehr an mich denken
», sagt sie.
Dann tritt der Mann mit den grauen Schläfen auf ihn zu und legt die Finger um sie. Würde das nicht Emilys eigenem Wunsch entsprechen, würde Travis den Mann umbringen. Der Mann nimmt sie ihm aus der Hand. Travis stockt der Atem. Wenn er jetzt ein Messer hätte, würde er sich damit selbst die Kehle durchschneiden.
Der Mann namens Pilgrim klopft an die Tür. Sie wird geöffnet, und dann verschwindet er wieder, einfach so, und mit ihm das herrliche blaue Leuchten. Travis lässt sich aufs Bett plumpsen. Jetzt lässt er den Tränen freien Lauf. In Ermangelung eines Messers oder auch einer schönen .38er fasst er stattdessen die scharfe Kante seines Bettgestells ins Auge. So schnell und sauber wie mit dem Messer wird es damit nicht gehen. Doch das Ergebnis wird dasselbe sein, wenn er es am Ende geschafft hat.
Er liegt da und lässt sich die Sache durch den Kopf gehen. Minuten vergehen. Irgendwann fällt ihm auf, dass ihm die blaue Kugel ein paar Sekunden lang entfallen ist. Zehn Sekunden lang etwa. Wie ist das möglich? Wie konnte er sie –
sie, Emily
– auch nur so kurz vergessen?
Er merkt, dass er gerade direkt in das verdammte Flackerlicht starrt, dreht sich auf den Bauch und drückt das
Gesicht ins Kissen. Er ist sehr müde. Sehr ausgelaugt vom Hin und Her der Gefühle. Dann döst er langsam ein.
Er wacht auf. Sein Mund ist ganz trocken, als hätte er Wattekugeln gegessen. Er muss stundenlang geschlafen haben. Er steht auf, geht zum Waschbecken, klatscht sich Wasser ins Gesicht und trinkt gierig aus dem Wasserhahn.
Irgendetwas lässt ihm keine Ruhe. Eine Erinnerung, die er nicht ganz zu fassen bekommt. Vielleicht irgendwas, das er geträumt hat. Als er versucht, es sich vor Augen zu rufen, sieht er kurz ein pulsierendes blaues Licht vor sich, und dabei durchströmt ihn, warum auch immer, ein großes Wohlgefühl. Vielleicht war es ja ein schöner Traum. Doch während er noch darüber nachsinnt, gleitet es davon ins Dunkel, entzieht sich ihm. Und dann ist es fort.
Er richtet sich auf, dreht den Wasserhahn zu. Kehrt zum Bett zurück, hat aber keine Lust, sich wieder hinzulegen oder auch nur hinzusetzen. Ohne groß darüber nachzudenken, fängt er an, in der Zelle auf und ab zu gehen: von der Tür zur Toilette, von der Toilette zur Tür, von der Tür zur Toilette
.
Dritter Teil: ENTITÄT 0697
31
Ihr Flug gen Westen fand in einer Art nicht enden wollender Morgendämmerung statt, da sie die Zeitzonen im selben Tempo überquerten wie der Erdschatten.
Travis wollte gerne schlafen, aber er fand keine Ruhe. Weil ihm in den ruhigen Stunden nach dem Start, je mehr sich sein Adrenalinspiegel wieder normalisierte, die
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