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Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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Travis starke Kopfschmerzen. Seit über acht Jahren ist er Tag für Tag dreiundzwanzigeinhalb Stunden in dieser Zelle eingesperrt.
    An der Wand neben seinem Bett ist mit Klebeband ein Brief befestigt, den er vor drei Monaten bekommen hat. In dem Brief wurde er davon in Kenntnis gesetzt, dass seine Eltern erschossen worden waren, während sie in Minneapolis an einer roten Ampel warteten. Zwei Polizeibeamte kamen vorbei, um ihn zu der Sache zu befragen. Zu Travis’ großer Freude schienen die beiden am Tod von Mr. und Mrs.   Chase vollkommen desinteressiert.
    Die einzigen Briefe, die er sonst hier bekommt, stammen von seinem Bruder Jeff. Er bewahrt sie fein säuberlich unter dem Bett auf, damit er sie nicht ständig vor Augen hat und sich nicht mit den Schuldgefühlen auseinandersetzen muss, die aus jeder Zeile sprechen. Jeff ist der Überzeugung, dass es einzig Travis und seiner Tat an jenem Abend im Jahr 1992 zu verdanken ist, dass er nicht auch in die Machenschaften der Familie hineingezogen worden ist.
    Jetzt gerade liegt Travis mit geschlossenen Augen auf dem Bett, zum Schutz gegen das Flackern. Es hilft nur wenig. Manchmal gelingt es ihm, das Flackern einfach auszublenden, zu verdrängen, und das hilft dann sogar. In dieser Zelle hat er gelernt, viele Sachen zu verdrängen. Tage. Monate. Jahre. Die Zeit, die hinter ihm liegt. Die Zeit, die noch vor ihm liegt. Über all das denkt er schlicht nicht nach, sonst wäre er hier schon längst verrückt geworden.
    Er steht vom Bett auf und geht in der Zelle auf und ab. Das macht er Dutzende Male am Tag, reflexhaft geradezu, ohne groß darüber nachzudenken. Wie immer legt er denselben Weg zurück: von der Tür zur Toilette, von der Toilette zur Tür, von der Tür zur Toilette.
    Da öffnet sich mit einem schweren Klack das Schloss an seiner Zellentür, und der Wärter kommt herein.
    «Besuch», sagt der Wärter, und Travis spürt, dass der Mann nervös ist. Was ungewöhnlich ist.
    Dann kommt ein Mann in einem teuren Anzug in die Zelle, und der Wärter verriegelt hinter ihm die Tür. Der Mann hat graue Schläfen und trägt eine Sonnenbrille, die er auch in diesem fensterlosen Raum nicht abnimmt. Er schaut hoch zu der flackernden Neonröhre, verzieht kurz das Gesicht und sagt: «Hallo, Travis. Gestatten, Aaron Pilgrim.»
    Er streckt den Arm vor, wie um Travis die Hand zu geben, doch dann sieht Travis, dass er etwas in der Hand hält, das er ihm entgegenreicht: eine leuchtend blaue Kugel, so groß wie ein Softball. Ein seltsames Schillern geht von ihr aus. Hypnotisch. Travis nimmt die Kugel in Empfang, ohne lange nachzudenken.
    Sobald die Kugel in seiner Hand liegt, vernimmt er
eine Stimme in seinem Kopf. Eine Stimme, von der er geglaubt hat, dass er sie nie wieder zu hören bekäme.
    «
Travis
»
, sagt die Stimme. Er bekommt so weiche Knie, dass er sich schwer aufs Bett setzen muss.
    Emily.
    Jenseits des blauen Leuchtens – jenseits von allem, was für ihn jetzt von Bedeutung ist – nimmt er undeutlich wahr, dass der Besucher, Pilgrim, vor sich hin lächelt. Es ist unwichtig. Nichts ist mehr wichtig.
    Travis sagt ihren Namen. Das Licht antwortet mit einem leisen Flackern und beginnt dann im selben Takt zu pulsieren wie sein Pulsschlag.
    «
Wir werden uns nicht sehr lange unterhalten
», sagt Emily. «
Diesmal nicht. Auch nicht nächstes Mal, wenn wir uns an diesem Erdloch in Alaska wieder treffen, in vielen Jahren erst. Aber beim dritten Mal   … oh, mein Schatz. Beim dritten Mal nehmen wir uns richtig Zeit

    «Warum kannst du nicht bei mir bleiben?», fragt Travis. Er hört selbst die Sehnsucht und den Schmerz in seiner Stimme. Sie fehlt ihm jetzt schon, ehe sie überhaupt wieder fort ist.
    «
Ich habe viel zu erledigen
», sagt Emily.
«
Komplizier te Sachen. Das könnte ich dir unmöglich erklären, tut mir leid. Nicht hier, nicht jetzt. Eines Tages erkläre ich dir alles. Eins aber sollst du wissen: Du bist für mich der wichtigste Mensch auf dieser Welt. Viel wichtiger als dieser grinsende Trottel da, der gerade in deiner Zelle steht. Von sechs Milliarden Menschen bist du derjenige, auf dessen Mitarbeit ich am meisten angewiesen bin. Du bist die unersetzliche Komponente in meinem Plan

    Bei ihren Worten spürt Travis, wie ein warmes, wohliges Gefühl seine Brust durchströmt. Er ist ihr wichtig.
Sie hat ihn erwählt. Er kann nur mit Mühe die Tränen zurückhalten.
    «Warum ich?», flüstert er.
    Sie kichert leise. «
Das erfährst du noch
.» Das Licht

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