Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
war ihnen tatsächlich nicht fremd. Das Geräusch war ein Summen, und es kam von einer Million Aasfliegen.
    6.
IN DEN HASSBERGEN
     

     
    Die Bewohner des Weilers, in dem die Schwestern mit Daniel bin Daniels Handelstreck zusammengetroffen waren, hatten die Chancen beim Schopf gepackt, die sich aus ihrer Lage an der Straße nach Norden ergaben. Sie verkauften nicht nur Futter für die Zugtiere und ließen die Händler ihre Scheune und den Stall benutzen, sondern vermieteten auch ihre Betten als Nachtlager. Wo die Eigentümer der Betten schliefen, war Elsbeth ein Rätsel – vermutlich zogen sie sich in den Wald zurück und priesen ihr Geschick, denn die vermieteten Schlafplätze waren wenig mehr als Strohmatratzen in einer Ecke der Wohnhütten, möglichst nahe an der halbhohen Trennwand, hinter der die Ziegen und in einem Fall zwei Kühe unter demselben Dach wie die Menschen lebten. Elsbeth und Reinhild hatten das komfortabelste der Lager ganz für sich. Daniel bin Daniel hatte darauf bestanden, obwohl er es war, der bezahlte. Reinhild, die wieder zu ihrem Pragmatismus zurückgefunden hatte, da der Wald hinter ihnen lag und Daniel bin Daniel nicht in unmittelbarer Nähe war, hatte gefunden, dass es nicht viel anders war als im Dormitorium des Klosters: Ständig hörte man die Geräusche, die die anderen im Schlaf machten, und der Geruch war nur unwesentlich schlimmer.
    Elsbeth vermutete, sie hatte den Geruch im Dormitorium gemeint.
    Sie lag im Halbdämmer neben der stillen, ruhig atmenden Gestalt Reinhilds. Ihr wurde bewusst, dass sie auch in dieser Nacht die Vigilien versäumen würden, weil es irgendwie nicht schicklich schien, mitten in der Nacht aus der Hütte zu stolpern und Mensch und Tier mit Gesang und Gebeten aus dem Schlaf zu reißen. Doch das war es nicht, was ihr den Schlaf raubte. In ihrem Hirn wanderte immer noch ein halber Gedanke umher und suchte nach dem richtigen Ort, um zu einer ganzen Erkenntnis zu werden. Ständig sah sie den halb in sich zusammengesunkenen Holzhaufen vor sich, der das Johannisfeuer vor der verlassenen Burg genährt hatte: die verdrehten, schwarz verfärbten Balken mit ihrer Schicht aus Asche und den glänzend silbernen Schuppenflanken, wo sie nur oberflächlich gebrannt hatten. Man hätte denken können, dass gewartet worden wäre, bis die Flammen das gesamte Holz verzehrt hatten, aber stattdessen schien man einfach nach einer Weile gegangen zu sein und das Feuer sich selbst überlassen zu haben. Die Überreste der anderen Johannisfeuer hatten anders ausgesehen.
    Von draußen sickerte Sternenlicht durch die Rauchabzugsöffnung mitten im Dach und ließ das grau gewordene Schilfgras und Reisig, mit dem es gedeckt war, schwach schimmern. Die runden Stämme des Dachstuhls hoben sich mattschwarz davon ab. Seine Errichter hatten sie im Feuer angekohlt, um Pilze und Schädlinge abzutöten.
    Plötzlich richtete Elsbeth sich auf. Der Anblick der verbrannten Balken des Johannisfeuers war auf einmal so nahe, als hätte jemand das Bild genommen und ihr direkt vors Gesicht gehalten. Sie sah die behauenen und gehobelten Kanten der Balken und das runde Loch, in dem ein Zapfen gesessen haben musste. Die Balken waren bearbeitet gewesen, solide Zimmermannsarbeit.
    Wer verbrannte etwas so Wertvolles wie bearbeitetes Holz, wenn nicht einmal hier, in diesem Weiler, am Dachgestühl mehr getan worden war, als die Rinde von den Stämmen zu schälen und sie ins Feuer zu halten?
    Und was war es gewesen, das dort verbrannt worden war?
    7.
IN DEN HASSBERGEN
     

     
    »Ich denke, es reimt sich so zusammen«, sagte Walter nach einer Weile, während derer sie stumm geschaut hatten, die Hände schützend vor Mund und Nase gehalten. »Die Burg ist belagert worden. Wir haben die Spuren des Lagers unter den Obstbäumen gefunden. Die Belagerer haben eine Kriegsmaschine eingesetzt, einen trébuchet oder eine Blide, wie man es auch nennt. Das Ding ist verbrannt worden, nachdem die Belagerung vorüber war, aber das sagt uns nicht, wer gewonnen hat. Es war auf jeden Fall zu groß, um von abziehenden Soldaten mitgenommen zu werden, und in die Burg hätte es auch nicht gepasst, um als Verteidigungswaffe eingesetzt zu werden. Wie der Kampf ausgegangen ist, ist ohnehin ein Rätsel. Hätten die Angreifer gewonnen, hätten sie eine Besatzungsmannschaft zurückgelassen; hätten die Verteidiger gesiegt, würden sie weiterhin auf der Burg leben. Oder habe ich irgendwas übersehen? Wozu belagert man eine Burg, wenn nicht, um

Weitere Kostenlose Bücher